Hans-Heinrich Dieter

EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik   (20.12.2013)

 

Beim jetzigen EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs ist die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach fünf langen Jahren einmal wieder auf der Tagesordnung. Das spricht Bände über den Stellenwert dieser wesentlichen Politikfelder in der Europäischen Union, ist Beweis für einen eklatanten Mangel an diesbezüglicher Zusammenarbeit in der EU und erklärt, warum einzelne EU-Länder teilweise sicherheitspolitische Maßnahmen im Alleingang ergreifen und erst später die EU und Partner um nachhaltige Unterstützung bitten und vor halb vollendete Tatsachen stellen.

Am Beispiel Mali bleibt trotz der Anfang 2013 gebotenen Eile festzustellen, dass die ehemalige Kolonialmacht Frankreich ohne Absprachen entschieden hat, die malische Regierung militärisch zu unterstützen. Auch wenn die Lage dringlich und ernst war, hätte Frankreich seine Partner und Freunde auf der Grundlage eines sicherheitspolitischen Konzeptes rechtzeitig konsultieren müssen, damit sie sinnvoll und abgestimmt über die Unterstützung Frankreichs und eigenes Engagement entscheiden können. Ein solches sicherheitspolitisches Konzept ist bis heute nicht bekannt.

Jetzt beim EU-Gipfel hat Präsident Hollande die Unterstützung der Partner für sein Engagement in Zentralafrika eingefordert. Da wird dann normalerweise sofort über Zahlen und Einzelheiten diskutiert, anstatt möglicherweise einmal gemeinsame Ziele für eine eventuell spätere EU-Mission zu definieren und die Teilhabe der Partner an der Entscheidungsfindung einzufordern. Da die EU so weit nicht ist, war es nur konsequent von Bundeskanzlerin Merkel, mit anderen Partnern die Finanzierung eigenständiger französischer Militäroperationen über einen EU-Fonds zu verweigern.

Der EU mangelt es an gemeinsamen Zielen, an Konzepten und langfristigen Perspektiven in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, das macht eine Weiterentwicklung schwierig und behindert eine vertiefte Integration. Im Zusammenhang mit der Pazifikorientierung der USA wird die EU aber um klare Vorstellungen über gemeinsame Sicherheitsvorstellungen und Verteidigungsanstrengungen nicht herumkommen, wenn sie an der Gestaltung der zukünftigen internationalen Ordnung teilhaben will. Darüber hinaus können die EU-Staaten nur gemeinsam die dafür erforderlichen militärischen Fähigkeiten entwickeln, da die diesbezügliche Finanzierung der Rüstungsgüter nicht durch die Einzelstaaten in der erforderlichen Qualität zu bewältigen ist. Nur ein Europa mit gemeinsamer Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird zukünftig ernstzunehmende Gestaltungskraft im internationalen Rahmen entfalten können. Das bedeutet eine Reduzierung der Souveränität der Partnerstaaten im Hinblick auf die Verfügungsgewalt, die Weiterentwicklung und den Einsatz ihrer Streitkräfte. Und dazu sind die Partner bisher nicht bereit. Entsprechend sind die Ergebnisse und Zeitpläne bei diesem Tagesordnungspunkt des EU-Gipfels nicht der Rede wert.

Deutschland wird in diesem Zusammenhang als möglichst verlässlicher und starker Partner erheblich gefordert werden. Das wird ziemlich schwer fallen, nicht nur weil Deutschland - wie alle EU-Partner - sparen und den Haushalt konsolidieren muss, sondern weil wir zunächst einmal definieren müssen, welches unsere vitalen Interessen, was unsere Ziele in der deutschen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik im europäischen und internationalen Rahmen sind und welche Konzepte und Strategien dafür entwickelt werden müssen. Und auf solcher Grundlage muss deutsche Außen- und Sicherheitspolitik öffentlich diskutiert werden. Obwohl schon lange bekannt ist, dass Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf der Tagesordnung des EU-Gipfels steht, ist nicht diskutiert worden, wie sich Deutschland positionieren soll und in der Regierungserklärung der Kanzlerin vom 18.12.2013 gibt es dazu auch keine konkreten Aussagen. In diesen Politikfeldern muss Deutschland also deutlich professioneller werden. Mit der Großen Koalition und den neuen Akteuren stehen die Chancen grundsätzlich für Fortschritte nicht schlecht, obwohl der Koalitionsvertrag in dieser Hinsicht ziemlich nichtssagend ist.

Außenminister Steinmeier müsste sich ein wenig Zeit nehmen für Grundlagenarbeit, denn ein "Weiter so" kann es für ihn, der im Windschatten von Kanzler Schröder Putin wohl auch für einen "lupenreinen Demokraten" gehalten hat und eine dementsprechend wenig erfolgreiche Russlandpolitik betrieben hat, nicht geben. Steinmeier kann auch persönlich nicht anknüpfen an eine erfolgreiche vernetzte Außen- und Sicherheitspolitik, weil er als Außenminister mit dem Verteidigungs- und mit dem Entwicklungsressort nur sporadisch und oberflächlich zusammengearbeitet hat. So hat er sich zum Beispiel in den Afghanistaneinsatz Deutschlands nahezu nicht eingebracht, obwohl der Außenminister die politische Federführung dafür hat. Er könnte - auch zum eigenen Nutzen - das Auswärtige Amt beauftragen, die vitalen Interessen Deutschlands zu definieren und langfristige Perspektiven deutscher Außenpolitik zu entwickeln.

Verteidigungsministerin von der Leyen ist in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein ganz "neuer Besen". Um in diesem Terrain mit Erfolg "kehren" zu können, sollte sie sicherheitspolitische Ziele für die Zusammenarbeit in der NATO und in der EU definieren, sowie Konzepte und Strategien für die Einsätze der Bundeswehr entwickeln lassen. Die jüngste Konzeption der Bundeswehr ist diesbezüglich nicht aussagekräftig genug, da sie sich naturgemäß nur mit einem der Instrumente deutscher Sicherheitspolitik befasst.

Entwicklungsminister Müller ist ebenfalls ganz neu im Geschäft und könnte die entwicklungspolitische Grundlagenarbeit analog zum Verteidigungsressort in Auftrag geben.

Alle drei Ressorts müssten dann unter Federführung des Außenministers die Ergebnisse ihrer Grundlagenarbeit zusammenführen, abgleichen und harmonisieren, um danach einen Konzeptentwurf wirklich vernetzter deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zur parlamentarischen und öffentlichen Diskussion zu stellen.

Auf solchen Grundlagen kann sich Deutschland dann verlässlich und für Partner berechenbar sowie glaubhaft in eine hoffentlich zunehmend stärkere Gemeinsamkeit europäischer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einbringen und in diesem Zusammenhang auch das nur national ausgerichtete Parlamentsbeteiligungsgesetz anpassen.

(20.12.2013)

 

 

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