Hans-Heinrich Dieter

Erdogans Krieg gegen die Kurden   (28.07.2015)

 

Die Türkei leistet sich ein mehrschichtiges und relativ undurchsichtiges politisches Spiel. Über lange Zeit hat die Türkei den IS gewähren lassen, Grenzverkehr und auch die Einreise von Dschihadisten nach Syrien zugelassen, weil sie Assad schwächen wollte. Um den IS nicht gegen die Türkei aufzubringen, hat das NATO-Mitglied den USA und der Allianz gegen den IS auch die Nutzung türkischer Luftwaffenstützpunkte für Luftschläge gegen die Terroristen verweigert und zum Ausdruck gebracht, dass es die Koalition der westlichen Welt nur bedingt unterstützen wird. Nicht wenige türkische Bürger sympathisieren mit dem IS, es gibt aktive IS-Zellen in der Türkei und über tausend türkische IS-Terroristen im Einsatz in Syrien und im Irak. Aber warum sollte der IS langfristig seine Ziele nicht auch in Teilen der Türkei verfolgen? Mehrere Anschläge des IS in Antalya oder anderen Urlaubszentren würde den Tourismus sofort zum Erliegen bringen und der Türkei heftige finanzielle Einbußen bescheren. Mit der bisherigen Politik hat sich die Türkei also selbst geschwächt, sowohl gegenüber der internationalen Gemeinschaft als auch gegenüber dem IS. Und die Türkei hat in der westlichen Welt erheblich an Glaubwürdigkeit und Vertrauen verloren.

Mit dem Anschlag des IS im kurdisch geprägten Suruc mit 31 Toten und der Hinrichtung von zwei türkischen Polizisten, die von den Kurden der Mittäterschaft bezichtigt werden, hat sich die Lage geändert. Erdogan hat nun einen Grund, militärisch sowohl gegen den IS als auch gegen die PKK vorzugehen. Schon damals während der Belagerung der kurdischen Stadt Kobane in Syrien durch den IS hatte Erdogan erklärt, dass er die PKK für eine „gleich große Gefahr“ wie den IS halte. Jetzt führt er einen Zweifrontenkrieg gegen die islamistischen Terroristen und gegen die PKK, mit der seit zwei Jahren Friedensverhandlungen laufen.

Ob Ankara nun tatsächlich eine Kehrtwende vollzogen und seine undurchsichtige Haltung gegenüber dem Islamischen Staat aufgegeben hat, ist schwer zu beurteilen. Ebenso unklar ist, welche Rolle die Türkei zukünftig in der von den USA geführten Koalition gegen die Terroristen spielen wird. Denn die Ziele der Türkei sind unverändert andere als die der internationalen Koalition gegen den Terror. Die Türkei, und allen voran der Chauvinist Erdogan, verfolgt nationalistische Ziele. Die türkische Regierung will verhindern, dass die syrischen Kurden, und damit auch die PKK, gestärkt werden und sich aus den drei von den Kurden bewohnten Gebieten in Nordsyrien ein Teilstaat wie im Irak herausbildet. Die politische Hauptstoßrichtung der Türkei zielt auf die Kurden, nicht auf den IS. Präsident Erdogan hat deswegen schon lange erwogen, eine Schutzzone, möglichst in Verbindung mit einer Flugverbotszone, im Norden Syriens einzurichten. Die Entsendung von Bodentruppen in diese Schutzzone soll dann verboten werden. Die Kurden aus Syrien und der Türkei lehnen eine solche Puffer- oder Schutzzone ab. Denn dieses Vorhaben richtet sich in erster Linie gegen die Kurden und gegen Assad, nicht aber gegen die IS-Terroristen. Die USA und die NATO-Partner haben damals ein solches Vorhaben ebenfalls nicht unterstützt. Im syrischen Kurdengebiet würde die syrische Kurdenmiliz PYD, die mit der PKK verbündet ist, die türkischen Truppen als "Besatzungsmacht" bekämpfen, falls sie die Grenze überschreiten sollten und auch die sogenannte Freie Syrische Armee hätte keine Chance, die Schutzzone durchzusetzen.

Nun haben die türkischen Streitkräfte nicht nur Stellungen des IS in Syrien bombardiert, sondern auch Stellungen der PKK im Norden des Irak mit Bomben und Raketen angegriffen. Syrien protestiert wegen der Verletzung seiner Souveränität und die PKK erklärt den Friedensprozess mit der Türkei für beendet. Die USA heißen sowohl die türkischen Angriffe gegen den IS als auch gegen die PKK gut und haben wohl mit der Türkei das Einrichten einer Schutzzone im Norden Syriens vereinbart – allerdings ohne eine Flugverbotszone. Inzwischen hat auch Erdogan den Friedensprozess mit der PKK aufgekündigt. NATO-Mitglieder wie Deutschland begrüßen die militärische Aktivität der Türkei gegen den IS, rufen aber gleichzeitig dazu auf, den Friedensprozess mit den Kurden weiterzuführen. Wie immer wird Erdogan seine Politik aber ohne Rücksicht auf die westlichen Partner machen. Er wird den IS weiter bekämpfen, aber nur wo es im türkischen Interesse dringend geboten erscheint. Und er wird die PKK weiter massiv bekämpfen – eher aus innen- und parteipolitischen Gründen. Dabei interessiert es Erdogan sicher weniger, dass er mit der Bekämpfung der PKK auch die syrisch-kurdische Miliz PYD schwächt, die eng mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei verbunden ist, und damit die wirksamste Widerstandsgruppe gegen den Islamischen Staat im Irak. Denn es sind ja die syrischen Kurden, die quasi als „Bodentruppen der USA und der internationalen Koalition“ die Hauptlast im Kampf gegen den IS tragen. Eine Schwächung der kurdischen Front wird es dem IS erlauben, sein Territorium im Norden des Irak aber auch in Syrien zu erweitern und zu konsolidieren. So gesehen verkehrt sich die vermeintliche neue Solidarität der Türkei mit der westlichen Allianz in das Gegenteil, denn die Verhinderung von Kurdenregionen ist Erdogan ganz offensichtlich wichtiger als der Kampf gegen die barbarischen Verbrecher des IS!

Bei den heutigen Konsultationen nach Artikel 4 des NATO-Vertrags in Brüssel sollten die Verbündeten daher lediglich Rückendeckung für die Bekämpfung des IS geben und fordern, dass die Türkei ihre militärischen Fähigkeiten der internationalen Koalition gegen den IS zur Verfügung stellt. Und die NATO-Mitglieder sollten die Türkei auffordern, den Friedensprozess mit der PKK fortzuführen. Denn es gibt keine türkische Kehrtwende in der Politik gegen den IS und es gibt weiterhin keine weitreichende türkische Solidarität mit der internationalen Koalition gegen den IS-Terror. Es bleibt wohl bei einer nationalistisch und innenpolitisch orientierten türkischen Haltung, die grundsätzlich nicht gegen den IS sondern hauptsächlich gegen die PKK gerichtet ist. Bei dieser türkischen Innenpolitik darf sich die NATO nicht zum Komplizen machen, sie muss konsequent türkische Solidarität in der Außen- und Sicherheitspolitik gegen den IS einfordern.

(28.07.2015)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte