Hans-Heinrich Dieter

Eingeschränkt wehrhafte Demokratie   (27.01.2016)

 

Der niederschmetternde Bericht des Wehrbeauftragten Bartels überrascht keinen Insider und keinen Bürger, der sich für die Sicherheit Deutschlands interessiert. Und auch die Parlamentarier sind da nicht zu überraschen, weil sie die jahrelange Unterfinanzierung der Bundeswehr zu verantworten haben. Denn der Bundestag hat in Zeiten der „Friedensdividende“ die Finanzierung deutscher Streitkräfte eher nach der klammen Kassenlage des Finanzministers als nach sicherheitspolitischem Bedarf zugelassen und sich dadurch sehenden Auges an der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr mit versündigt. Die Medien haben schon mehrfach vom „Trümmerhaufen“ Bundeswehr berichtet und greifen den neuerlichen „Aufschrei“ des Ombudsmanns der Bundeswehr gerne auf. Das ist auch wichtig, denn es befördert vielleicht die dringend erforderliche, sachliche öffentliche Diskussion, welche sicherheitspolitischen Ziele Deutschland unter Nutzung der Bundeswehr im Rahmen der NATO, zusammen mit der EU oder auch der internationalen Staatengemeinschaft zukünftig erreichen können will. Dementsprechend müssen die Streitkräfte personell und materiell ausgelegt und verantwortungsbewusst finanziert sein. Wenn die verantwortlichen Politiker weiterhin nur Sonntagsreden halten, dann machen sie sich endgültig unglaubwürdig und - auch international - nachhaltig lächerlich. Darüber hinaus ist eine kaputtgesparte Bundeswehr nicht attraktiv für den dringend benötigten, hinreichend qualifizierten Nachwuchs. Welcher leistungsbereite und intelligente junge Mensch interessiert sich für ein berufliches Engagement in einem Unternehmen, dem der für die desolate Lage mitverantwortliche Wehrbeauftragte Bartels „planmäßige Mangelwirtschaft“ vorwirft?

Bei dieser „planmäßigen Mangelwirtschaft“ muss man nach der Verantwortung fragen. Für die Bundeswehr gilt der Primat der Politik, den die Politiker immer gerne vehement einfordern, dem aber viele nicht verantwortungsbewusst gerecht werden. Und die Bundeswehr leidet bis heute darunter, über Jahre unfähigen, ungeschickten, erfolglosen, wenig mutigen oder irgendwie unglücklich agierenden Verteidigungsministern ausgesetzt gewesen zu sein.

Verteidigungsminister Scharping trägt die Verantwortung für die im Jahr 2000 initiierte Transformation der Bundeswehr, die 20 Jahre nach der deutschen Einheit endlich zukunftsorientiert umstrukturierte und im Hinblick auf Erfüllung vielfältiger und fordernder Einsatzaufträge in einem Prozess ständiger Anpassung auch an die technologischen und sicherheitspolitischen Veränderungen optimierte Streitkräfte zum Ziel hatte. Wegen Unterfinanzierung waren die planerischen Ziele allerdings nicht zu erreichen. Minister Struck hat den nicht realisierbaren Planungsansatz Scharpings mit nur eingeschränktem Interesse für die Bundeswehr verwaltet und nichts gegen die Unterfinanzierung unternommen.

Verteidigungsminister Jung war einfach nur unfähig und blieb das bis zu seinem Rauswurf . In dem Bericht vom März 2010 bemängelte der Wehrbeauftragte zum Beispiel das Fehlen von geschützten Fahrzeugen, Maschinengewehren, Transportflugzeugen und Hubschraubern in den Einsätzen und fordert, dass für die Sicherheit der Soldaten wesentlich mehr getan werden müsse. Seiner Meinung nach seien "gewisse Mängel und Defizite der Bundeswehr mit den Ansprüchen einer modernen Einsatzarmee" nicht zu vereinbaren. Die Strukturen der Bundeswehr sieht er in einem miserablen Zustand. „Die Realität in den Streitkräften ist gekennzeichnet durch unübersichtliche Führungsverantwortung, zu viel Bürokratie, … sowie veraltete Personal- und Materialplanung“. Und in solchen Zusammenhängen bemängelte er, dass Fehlentwicklungen „verschlafen“ und Probleme „schöngeredet“ worden sind. Das lässt den Schluss zu, dass der Minister versagt hat und der Deutsche Bundestag die Soldaten der Bundeswehr in den Einsatz geschickt hat, ohne hinreichend für eine möglichst sichere und erfolgreiche Auftragserfüllung zu sorgen.

Minister zu Guttenberg hat die unsinnige Reduzierung des Grundwehrdienstes von neun auf sechs Monate mit damals geschätzten Mehrausgaben von etwa 26 Millionen Euro zu Lasten einsatzrelevanter Vorhaben, die überhastet veranlasste Aussetzung des Wehrdienstes und die unzureichende, erneut finanziell nicht unterlegte Strukturreform 2010 zu verantworten.

Verteidigungsminister de Maizière, genannt die „Büroklammer“, hat zusammen mit seinem ungeeigneten Staatssekretär Bemelmans versucht, die unzureichende Reform 2010 durch eine „Neuausrichtung der Bundeswehr“ zu korrigieren, ist aber auch deswegen erfolglos geblieben, weil es ihm nicht gelungen ist, die Unterfinanzierung der Bundeswehr zu beenden. Außerdem konnte er die zunehmende Einsatz- und Aufgabenbelastung der Streitkräfte finanziell nicht so unterfüttern, dass die Einsatzfähigkeit gewährleistet wurde. In seine Verantwortung fallen solche unsinnigen Regelungen wie das „flexible Verfügbarkeitsmanagement“ für einsatzwichtiges Gerät und die 70 Prozent-Ausstattung mit Großgerät sowie Skandale im Rüstungsmanagement.

Verteidigungsministerin von der Leyen hat es bei diesen Vorgängern an sich leicht zu reüssieren. Bisher ist das nur unzureichend gelungen, denn auch sie hat die Unterfinanzierung nicht aufgehalten und wird so mit den vielen Altlasten nicht fertig. Bei den Festreden zu 60 Jahre NATO in Berlin bekennt sich von der Leyen zu dem vereinbarten Ziel der NATO-Mitglieder, jeweils zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung aufzuwenden: „Diesem Anspruch stellen wir uns, Sicherheit braucht Investitionen.“ Tatsächlich liegen wir derzeit bei etwa 1,2 Prozent und die deutschen Verteidigungsausgaben sollen bis 2019 lediglich von nur 33 auf 35 Milliarden Euro erhöht werden. Das ist erneut keine Erhöhung auf der Grundlage einer Analyse des sicherheitspolitischen Bedarfs, sondern ein Zugeständnis des Finanzministers angesichts seiner Kassenlage. Und wenn die CDU-Politikerin in den kommenden 15 Jahren 130 Milliarden Euro für die Ausrüstung der Bundeswehr, für neue Aufgaben und zur Deckung des „riesigen Modernisierungsbedarfs“ ausgeben will, dann hören wir das mit Interesse. Wenn sie im Nachsatz sagt, sie habe „eine große Offenheit auch bei Bundesfinanzminister Schäuble für eine Erhöhung des Wehretats gespürt“, dann ist man geradezu gerührt - aber nicht überzeugt, dass aus dem „Steinbruch Bundeswehr“ möglichst schnell wieder die einsatzfähigen Streitkräfte werden, die die wehrhafte Demokratie Deutschland braucht.

(27.01.2016) 

 

 

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