Hans-Heinrich Dieter

Dringende Reformen in 2021!   (22.12.2020)

 

Bundespräsident Steinmeier hat die 56. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) im Februar 2020 eröffnet und deutlich gemacht, dass die internationale Ordnung sowie die westlichen Demokratien immer stärker unter Druck geraten sind und dass die Europäer immer mehr gefordert sind, den Egoismen der Großmächte USA, Russland und China etwas entgegenzusetzen. Deswegen solle Deutschland in Zeiten eines weltweit wachsenden Nationalismus stärker als bisher den Zusammenhalt Europas zum Schwerpunkt seiner Außenpolitik machen. Und er fügte noch den Appell an die deutsche Politik bei, in der Außen- und Sicherheitspolitik mehr Mut zu zeigen.

UNO-Generalsekretär Guterres hat anlässlich des 75. Jahrestages der Gründung der Vereinten Nationen in der letzten Woche im Bundestag gesprochen und Deutschland als eine „Friedensmacht“ gelobt, „die mit tiefem Geschichtsbewusstsein und Verantwortung eine führende Rolle in der Welt spielt“. Außerdem hat er hervorgehoben, dass sich Deutschland in seiner Zeit als nichtständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat für die multilaterale Lösung unserer globalen Probleme stark gemacht hat und so eine „starke Führungsrolle“ bei der internationalen Problemlösung und Krisenbewältigung gespielt habe. Das sind lobende Worte – leider an der globalen Realität vorbei, denn die UN hat keine wirklichen Erfolge, an denen Deutschland maßgeblich beteiligt gewesen wäre, aufzuweisen. Und deswegen machen Guterres´ Worte auch im Zusammenhang mit Steinmeiers Aussage bei der Sicherheitskonferenz deutlich, dass die Nachkriegs-Struktur der UNO für die Lösung der Probleme unserer Zeit nicht mehr tauglich ist.

Denn dem für Erfolg erforderlichen - solidarischen und wertebewussten - Multilateralismus stehen der egozentrische Isolationismus Trumps, die völkerrechtwidrige Aggressivität Putins und der ausgeprägte Drang des chinesischen Staatspräsidenten, die Supermacht Nr. 1 zu werden, entgegen. Dazu gesellen sich ein zunehmend gaullistisch agierender Macron und ein nach nationaler Unabhängigkeit strebender Johnson. Wie soll das wichtigste Gremium der UNO, der Weltsicherheitsrat, zukunftsorientierte Resolutionen verabschieden, wenn diese teilweise vertrauensunwürdigen ständigen Mitglieder ihr Vetorecht in gegenseitiger Aggressivität ausleben?

Die Realität der letzten Jahre hat deutlich gezeigt, dass die UNO aufgrund dieser strukturellen Grundlage nicht wirklich handlungsfähig ist. Unter diesen Rahmenbedingungen zunehmender Spaltung und Konfrontation werden die Vereinten Nationen ihre Aufgaben als Weltfriedensorganisation zukünftig nicht zufriedenstellend lösen können. Deswegen müssen ihre Strukturen an die politische, soziale und wirtschaftliche Realität des 21. Jahrhunderts angepasst werden, um effektiv zusammenarbeiten zu können. Denn was nützt eine eingeschränkt entscheidungs- und handlungsfähige Weltorganisation, die zum realen Wohl der Bürger dieser Welt nur sehr wenig beitragen kann?

Die eingeschränkte Handlungsfähigkeit der UNO, aufgrund der Dauerblockade des Weltsicherheitsrates durch die Weltkrieg II-Siegermächte, geht einher mit einer Krise unserer westlichen Wertegemeinschaft. Die Führungsmacht der westlichen Welt hat sich unter Trump eindeutig gegen den Multilateralismus positioniert, äußert Zweifel an dem Transatlantischen Verteidigungsbündnis, NATO, empfindet die Europäische Union - und dort hauptsächlich Deutschland - zunehmend als Gegner, hat das Klimaabkommen von Paris aufgekündigt und ist einseitig aus dem Iran-Abkommen ausgestiegen – um nur die schädlichsten Entwicklungen zu nennen. Der US-Nationalismus spaltet die UNO und verhindert solidarische Zusammenarbeit bei der Lösung globaler Probleme wie bei der Bewältigung des Klimawandels. Und das zunehmende Desinteresse der USA an der NATO beeinträchtigt die Sicherheit Europas. Deswegen müssen in dem Zusammenhang auch der Reformbedarf sowohl der NATO als auch der EU erörtert werden.

Die NATO wurde im Jahr 2020 teilweise mit maßloser Kritik - bis hin zu üblen Verleumdungen - überzogen. Dabei ist die NATO weder „hirntot“ noch „obsolet“ und sie steckt auch nicht „tief in der Krise“. Die NATO hat den Kalten Krieg gewonnen und ist das erfolgreichste Militärbündnis der modernen Geschichte. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich die NATO allerdings nur marginal weiterentwickelt und sich auch den stark veränderten politischen Rahmenbedingungen in unserer globalisierten und inzwischen vom islamistischen Terror und vom Supermachtstreben Chinas gekennzeichneten Welt nur unzureichend angepasst. Deswegen muss auch die NATO reformiert werden und dieser Prozess hat bereits begonnen. Aufgrund des durch die russische Annexion der Krim verursachten „neuen Kalten Krieges“ haben die NATO-Mitgliedsstaaten begonnen, ihre Bündnis-Verteidigungsfähigkeit gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages zu verbessern oder wiederherzustellen. Dem Sicherheitsbedürfnis Polens und der baltischen Staaten entsprechend hat die NATO dort zeitweilig und rotierend Kampftruppen stationiert und die Kontrolle des Luftraumes weitgehend übernommen. Auf die Herausforderungen von Cyber-Bedrohungen sowie verdeckter und hybrider Kriegsführung stellt sich die NATO zunehmend ein und hat insbesondere ihre Fähigkeiten in der Cyber-Kriegsführung inzwischen verbessert. Das Militärbündnis muss allerdings noch ausreichende Fähigkeiten entwickeln, um sich an internationalen Anti-Terror-Einsätzen beteiligen zu können. Und auch der Aufstieg Chinas zu einer „durchsetzungsstarken Weltmacht“ - die zweite Hauptursache für die Wiederkehr eines „geopolitischen Wettbewerbs“ und einer multipolaren „Systemrivalität“ - ist bei der Weiterentwicklung zu berücksichtigen. Denn daraus ergibt sich eine neue geopolitische Sicherheits- und Bedrohungslage, auf die sich die NATO mit ihren Mitgliedern auf der Grundlage des neuen Strategischen Konzeptes gemeinsam einstellen muss. Das erfordert auch eine Beteiligung der NATO an der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit im pazifischen Raum. Deswegen müssen die europäischen NATO-Mitgliedstaaten alle Anstrengungen unternehmen, um die USA mit ihrer nuklearen Zweitschlagskapazität im Transatlantischen Bündnis zu halten, denn nur die NATO mit den militärischen Fähigkeiten der USA kann mittelfristig die Sicherheit Europas gewährleisten. Und nur unter dem Schutzschirm der nuklearen Zweitschlagskapazität der USA kann die Weiterentwicklung der NATO – bis in den pazifischen Raum hinein - gelingen. Oder mit den Worten von de Maizière: „Die NATO ist unsere Lebensversicherung!“

Wegen der inzwischen eingeschränkten Vertrauenswürdigkeit der USA als westliche Führungsmacht kann die Sicherheit Europas – in Teilen - nur durch eine NATO gewährleistet werden, die sehr eng mit der Europäischen Union zusammenarbeitet. Dieser wichtige Zusammenarbeitsbedarf wird zwar immer wieder verbal geäußert, steht aber bisher auf tönernen Füßen. Denn die Europäische Union, und damit auch Europa, befindet sich derzeit in einem bedauernswerten, ja geradezu mitleiderregenden Zustand. Die Finanzkrise ist immer noch nicht vollständig überwunden, die Staatsverschuldung ist in den meisten Mitgliedstaaten nicht im Griff – und in der Coronakrise ausgeufert - die massiven Strukturprobleme der meisten EU-Staaten sind nicht oder nur unzureichend behoben und die Flüchtlingsproblematik spaltet Europa mehrfach und nachhaltig. In der Pandemie hat die EU erst sehr spät zu einigermaßen gemeinsamem Handeln gefunden. Mit einem massiven Schuldenprogramm hat sich die EU von ihren Prinzipien verabschiedet und entwickelt sich zu einer Schulden-, Fiskal- und Transferunion. Bei der Krisenbewältigung in Syrien und in Libyen ist die EU nicht erfolgreich. Der Streit zwischen der Türkei und Griechenland um Seegebiete im östlichen Mittelmeer ist noch nicht beigelegt und insgesamt findet die EU nicht zu einer politisch angemessenen und würdevollen Haltung gegenüber der Türkei – in Realität zeigt sich die EU immer wieder anfällig für die politischen Erpressungen Erdogans. Bei der Unterstützung der Opposition in Belarus war die EU sehr zögerlich und hat nun endlich einen Sanktionskompromiss gefunden. Die Europäische Union hat so massiv an Ansehen verloren und wird als Partner in der Weltpolitik sehr wenig ernst genommen. Das muss sich dringend ändern, denn die EU wird in unserer „aus den Fugen geratenen Welt“ mehr denn je als Geopolitischer Akteur gebraucht! Und das wird nur schwer zu realisieren sein, denn ohne militärische Macht und Gemeinsamkeit aber wird auch eine europäische Außenpolitik nicht wirksam werden können. Und an beidem fehlt es in starkem Maße.

Denn die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU ist schon von ihrer Struktur und von den politischen Grundlagen her stark eingeschränkt und deswegen gibt es auch keine wirklichen zukunftsfähigen Entscheidungen – höchstens den einen oder anderen schwachen Kompromiss. Die EU hat keine gemeinsam definierte Außen- und Sicherheitspolitik als Rahmenbedingung einer erfolgreichen europäischen Außenpolitik. Denn seit 1993 redet die EU von einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), aber es wurde bisher keine real definierte und angewandte gemeinsame diesbezügliche Politik gemacht. Die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit ist zudem durch die erforderliche Einstimmigkeit bei außenpolitischen Entscheidungen und die sich verstärkenden nationalistischen und unsolidarischen Tendenzen einiger Mitgliedstaaten sehr stark eingeschränkt. Eine handlungsfähige außenpolitische „Großmacht“ wird die EU also nicht durch vollmundige Reden und „Ankündigungen“. Die EU muss sich reformieren und weiterentwickeln von einer friedensstiftenden Nachkriegs-Wirtschaftsunion zu einem international handlungsfähigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur mit leistungsfähigen politischen Instrumenten, die sie auf der Grundlage einer Gesamtstrategie machtvoll zur Wirkung bringen kann. Dazu muss das Einstimmigkeitsprinzip in außenpolitischen Angelegenheiten durch ein Mehrheitsrecht ersetzt werden. Das alles wird nur durch die allmähliche, schrittweise Gestaltung einer glaubhaften und wirkungsvollen globalen außenpolitischen Rolle gelingen. Dazu muss die EU in sehr engem Zusammenwirken mit der NATO langfristig auch über hinreichende Handlungsfähigkeit bei militärischer Machtausübung verfügen. Die EU muss sich von einem sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer zu einem engagierten, vertrauenswürdigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur entwickeln!

Deutschland spielt in der globalen Welt eine deutlich nachgeordnete Rolle, weil wir kein außen- und sicherheitspolitisches Konzept haben, das wir in die EU oder die NATO einbringen könnten, um so zur Stabilisierung beizutragen. Deswegen sind die Worte von Bundespräsident Steinmeier auf der 56. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) im Februar 2020 nur ein vollmundiger Teil einer Sonntagsrede. Denn Deutschland hat noch nicht einmal hinreichende militärische Möglichkeiten, um seinen Bündnisverpflichtungen angemessen nachkommen zu können. Wir sind so etwas wie ein großmäuliger außen- und sicherheitspolitischer Zwerg. Das müssen wir tatkräftig dadurch ändern, dass wir zum Beispiel die vielfältigen Vorschläge Macrons intensiv diskutieren und zu realistischen Lösungen kommen, die der Zukunft der EU und der Handlungsfähigkeit der NATO – einschließlich des unverzichtbaren Sicherheitsgaranten USA – dienen. Wir müssen wieder ein geachteter, glaubwürdiger und zuverlässiger Partner bei der Gewährleistung unserer gemeinsamen Interessen und Sicherheit werden. Das wird nur gelingen, wenn wir uns engagiert und mutig in die EU und in die NATO einbringen und die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr so schnell wie möglich wiederherstellen! Und wir sollten tatsächlich in der Außen- und Sicherheitspolitik mehr Mut zu zeigen und dazu auch definieren was wir außenpolitisch wirklich wollen. Wir können damit beginnen, dass wir das russisch-deutsche Verhältnis, das so schlecht ist wie noch nie - realistisch beurteilen und wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen -oder in die EU einbringen. Wenn Putin nun Sanktionen gegen Berlin und andere EU-Mitglieder verhängt, weil sie den Mordversuch an Alexej Nawalny nicht widerspruchslos hinnehmen, dann sollte Deutschland Nordstream 2 endlich aufkündigen. Eine solche Maßnahme würde die EU stärken und die Ausweitung von Streitigkeiten mit den USA verhindern. „Gegner Putin“ würde endlich verstehen müssen, dass seine aggressive Politik von nun an deutlich schmerzhaftere Folgen hat und weiterhin haben wird. Die Entspannungspolitik ist an den Aggressionen Putins gescheitert und so endet auch die „Sicherheitspartnerschaft“ der NATO mit Russland. Autokratische und nationalistische Aggressoren wie Putin verstehen nur Klartext und schmerzhafte Konsequenzen!

(22.12.2020)

 

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