Hans-Heinrich Dieter

 

Dilemma der NATO IV (22.04.2011)

 

Die aktuelle Entwicklung in Libyen verstärkt das Dilemma der NATO. Die UN-Resolution 1973 verbietet das Entsenden von „Besatzungstruppen“ nach Libyen. Jede Resolution ist interpretierbar, aber es sollte möglich sein, in der NATO zu einer gemeinsamen Interpretation zu kommen, die dann auch gemeinsam strikt eingehalten wird. Davon ist die NATO weit entfernt.

Die NATO interpretiert die Resolution so, dass höchstens kurzfristige Bodeneinsätze z.B. zum Bergen abgestürzter Flugzeugbesatzungen erlaubt sind. Großbritannien, Frankreich und Italien haben nun die Entsendung von Militärberatern bekanntgegeben, nachdem die Bürgerkriegsrebellen in Misurata den Einsatz britischer und französischer Soldaten in der Stadt gefordert hatten. Die EU plant seit längerem eine eventuelle militärische Absicherung von humanitärer Hilfe mit dem Einsatz von Bodentruppen in möglichst geringer Stärke. Frankreich will die Luftangriffe verstärken. Präsident Obama hat nun den Einsatz von Kampfdrohnen genehmigt. Waffenlieferungen an die Rebellen entgegen der UN-Resolution sind nicht vom Tisch, sondern akut. Und die NATO hat unverändert die Verantwortung für die Durchsetzung des UN-Mandates. Diese Verantwortung sollte an sich ungeteilt wahrgenommen werden.

Die NATO vermittelt aber nicht den Eindruck, als ob sie das Heft des militärischen Handelns in der Hand hat. Im Gegenteil, sie wirkt eher wie der Erfüllungsgehilfe und Handlanger der im Hintergrund politisch bewusst sehr gut erkennbaren Koalition der Willigen. Und NATO-Generalsekretär Rasmussen versucht tief in der Sackgasse ziemlich hilflos, den Krieg verbal zu beenden. An den sicher gespannt lauschenden Gaddafi gewandt sagte er in einem Interview: "Dein Regime hat keine Zukunft. Die Zukunft liegt in den Händen des Volkes von Libyen".

Und alle Maßnahmen dienen natürlich dem Schutz der Zivilbevölkerung. Die Bombardierung von "Kommando- und Kontrollanlagen" von Gaddafis Armee dient dem Schutz der Zivilbevölkerung genauso wie der Einsatz von Kampfdrohnen. Die französischen Militärberater sollen helfen, den Schutz der Zivilbevölkerung zu organisieren. Zudem will die französische Regierung ihr militärisches Engagement in Libyen ausweiten. Präsident Sarkozy sagte den Rebellen die Intensivierung der Luftwaffeneinsätze gegen die Truppen von Gaddafi zu. Ob das mit der NATO abgesprochen ist, darf bezweifelt werden. Italiens Verteidigungsminister Ignazio La Russa sagt hingegen, zehn italienische Militärberater sollten bei der Ausbildung der Aufständischen helfen. Da darf man natürlich nicht die Zukunft aus den Augen lassen. Denn der Vorsitzende des libyschen Nationalen Übergangsrats, Mustafa Abd al Dschalil, sagte jetzt in Rom, das künftige Libyen werde besondere Beziehungen zu Frankreich, Italien und Qatar pflegen, den drei Staaten, die die Regierung der Rebellen im Osten Libyens als einzige Vertretung des libyschen Volks anerkannt haben. Mit diesen Ländern werde Libyen seine wirtschaftliche Zukunft teilen.

Während andere Politik machen, ruft die NATO die Zivilbevölkerung in Libyen auf, sich von den Truppen von Machthaber Muammar al Gaddafi fernzuhalten. Dann könne das Bündnis bei ihren gezielten Angriffen auf die Truppen und deren Kriegsgerät – natürlich zum Schutz der Zivilbevölkerung - erfolgreicher sein, meinte der für NATO-Einsätze zuständige Generalleutnant Bouchard. Wenn es tatsächlich um den Schutz der Zivilbevölkerung geht, vermisst man die Aufforderung der NATO an die Bürgerkriegs-Kollegen, die Bevölkerung aus den von Rebellen besetzten und deswegen umkämpften Stadtteilen zu evakuieren. Denn es ist einfach naiv zu glauben, man könnte Bürgerkrieg in Städten führen ohne Beschuss besetzter Stadtteile. Die Verantwortung für die Zivilbevölkerung in umkämpften Stadtteilen trägt in einem Krieg der, der diese Stadtteile mit Waffengewalt verteidigt. Ein Verzicht auf die Evakuierung der Zivilbevölkerung verteidigter Stadtteile durch die Rebellen kommt einem massenhaften Missbrauch der Zivilbevölkerung als Schutzschilde für Militäroperationen gleich. Die NATO lässt das zu.

Und die NATO sagt auch, sie werde so lange die Regierungstruppen angreifen, wie diese das eigene Volk attackierten. Im Westen Libyens sind keine Attacken der Regierungstruppen gegen das eigene Volk bekannt geworden, aber Tripolis wird bombardiert. Zum mehrfachen Gesichtsverlust kommt dann noch der Verlust der Glaubwürdigkeit.

Generalsekretär Rasmussen hat es bereits vor längerer Zeit gesagt. "Die ehrliche Antwort lautet: Für diesen Konflikt gibt es keine militärische Lösung". Wenn Rasmussen glaubt, was er sagt, dann muss auch die NATO um eine politische Lösung des Konfliktes ringen, zeitgerecht bevor Gaddafi Misurata und danach Bengasi eingenommen hat und bevor der Einsatz von Bodentruppen unausweichlich erscheint, um ein militärisches Scheitern der NATO zu verhindern.

Eine politische Lösung wird es allerdings nicht ohne Gaddafi geben. Das plakative politische Ziel „Gaddafi muss weg“ war schon von Anfang an nicht zu Ende gedacht. Die NATO muss ein politisches Konzept mit einem Zielsystem für die Beendigung des Bürgerkrieges erarbeiten. Die NATO muss auf die Rebellen einwirken, dass sie einem Waffenstillstand zustimmen, auch ohne dass Gaddafi das Land verlassen hat. Die NATO muss aus der einseitigen Parteinahme herausfinden und auch Signale des Gaddafi-Regimes ernst nehmen, aufgreifen  und politisch umsetzen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte inzwischen eine sofortige Waffenruhe. Im Moment habe die Schaffung einer überprüfbaren und effektiven Waffenruhe für die Vereinten Nationen Priorität, um die humanitäre Hilfe auszuweiten, sagte Ban in Moskau. Warum tut die NATO nicht alles, um diese UN-Absicht zum wirklichen Schutz der Zivilbevölkerung zu unterstützen? Dabei ist es natürlich schwer, sich aus einer tiefen Sackgasse rückwärts und gegen Stolpersteine der Koalition der Willigen und „Geschäftstüchtigen“ heraus zu bewegen.

Deswegen gibt es auch noch keine Reaktion auf ein kürzliches Interview des libyschen Außenministers in der BBC. Abdul Ati al-Obeidi soll einen Waffenstillstand und die Durchführung von Wahlen unter UNO-Beobachtung innerhalb des nächsten halben Jahres angeboten haben. Vielleicht ist die Politik auch nur in der Osterpause.

 

(22.04.2011)

 

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