Hans-Heinrich Dieter

Dilemma der NATO III    (15.04.2011)

 

Das NATO-Außenministertreffen am 14./15.04.2011 in Berlin macht das Dilemma der NATO im libyschen Bürgerkrieg überdeutlich.

Die USA halten sich aus innenpolitischem Interesse militärisch bewusst zurück und lassen die NATO mal machen. Frankreich denkt, innenpolitisch getrieben, gegen die UN-Resolution laut über die Bewaffnung der Rebellen nach und fordert ständig eine Verstärkung der Angriffe gegen die Streitkräfte Gaddafis. Großbritannien, wegen der Zurückhaltung der USA verunsichert, lehnt sich an den lautstarken Sarkozy an. Das hindert die USA, Frankreich und Großbritannien aber nicht daran, am Freitag noch während der NATO-Tagung in einem Zeitungsartikel den Sturz Muammar al-Gaddafis gegen den Buchstaben der UN-Resolution zum Kriegsziel zu erklären und damit die NATO zu brüskieren. Italien forderte die Belieferung der Rebellen mit Waffen. Deutschland fordert eine politische Lösung des Konfliktes, fährt aber einen unsteten außenpolitischen Kurs und kann von den Bündnispartnern derzeit nicht eindeutig beurteilt werden, höchstens als Unsicherheitsfaktor. Die Türkei ist gegen den NATO-Einsatz und unternimmt bisher erfolglos eigene Friedensbemühungen. Die Auffassung der kleineren NATO-Mitglieder ist höchst unterschiedlich. Die NATO will ein engeres Verhältnis zu Russland aufbauen, aber Russland hält den derzeitigen NATO-Einsatz in Umfang und Qualität nicht für legitimiert, insbesondere nicht militärische Einsätze zum Sturz des Diktators. Und von 28 NATO-Mitgliedern beteiligen sich derzeit nur 6 aktiv an den Kampfhandlungen.

Die NATO wird sich auf so allgemeine Forderungen wie die, ihren Einsatz gegen die Truppen des libyschen Machthabers Muammar al Gaddafi "so lange wie nötig" fortzusetzen, einigen können, inhaltlich wird es in der Libyenfrage eine heillose Kakophonie bleiben.

Gleichzeitig wird der Druck auf die NATO größer, die Streitkräfte Gaddafis stärker und effektiver zu bekämpfen. Die mit dem Konflikt befassten Fachleute und Nichtfachleute wissen zwar, dass Gaddafi mit Luftstreitkräften allein nicht in die Knie gezwungen werden kann, da aber der Einsatz von Bodentruppen nur bei weitester Auslegung der Resolution 1973 sehr begrenzt möglich ist, soll lediglich der Druck auf Gaddafi verstärkt werden, um das Regime zu bewegen, drei Forderungen zu erfüllen:

    1.  Einstellen aller Angriffe und Angriffsdrohungen gegen Zivilisten.

    2.  Rückzug aller Streitkräfte, einschließlich Heckenschützen, Söldner und anderer  paramilitärischer Milizen, nachprüfbar aus den besetzten Orten.

    3.  Ungehinderter Zugang für humanitäre Hilfsleistungen an alle Bedürftigen in Libyen.

Die Forderungen klingen ganz gut für Medien und Politiker, die sie verkaufen müssen. Tatsächlich fehlen die militärischen Mittel, um den Druck wirksam erhöhen zu können. Mit Bombardierungen von Zielen in Tripolis wird die Zivilbevölkerung nicht unbedingt geschützt. Mit verstärkter Bekämpfung von verzahnten libyschen Streitkräften, die von Rebellen besetzte Städte zurückerobern wollen, werden zwangsläufig die Rebellen und die Zivilbevölkerung beeinträchtigt. Verstärkte Waffenwirkung ohne hinreichend verfügbare Präzisionsbewaffnung bedeutet zwangsläufig verstärkte Kollateralschäden, mit der bekannten Auswirkung auf die Stimmungslage der arabischen Zivilbevölkerung.

Die Forderungen klingen nur auf den ersten Blick ganz gut, aber Forderungen müssen ja so gestellt werden, dass es eine Chance gibt auf ihre Erfüllung. Das ist hier nicht der Fall. Die Forderungen sind gestellt an einen Despoten, der seine wehrlose Zivilbevölkerung unterdrückt. Die Streitkräfte Gaddafis kämpfen aber gegen eine bewaffnete Bürgerkriegspartei, die ihren vollmundig angekündigten Marsch auf Tripolis abbrechen musste, die Städte mit der Zivilbevölkerung besetzt hält und militärisch verteidigt – derzeit sind erste, nicht überprüfbare, schwere Menschenrechtsverletzungen auch der Rebellen bekannt geworden. Wenn also Gaddafi Forderung zwei erfüllt, ist er dem Marsch der Rebellen auf Tripolis ziemlich hilflos ausgesetzt. Und mit Erfüllen der Forderung 3 verliert er die Souveränität über Libyen und seine Bevölkerung. Die Forderungen sind also eher für die Galerie formuliert und werden den Diktator nicht beeindrucken. Glaubhaft und sinnvoll wären solche Forderungen erst und nur, wenn sie an beide Bürgerkriegsparteien gestellt und so eine Grundlage für einen nachhaltigen Waffenstillstand mit anschließenden Friedensverhandlungen geschaffen würden. Dazu ist die NATO aber nicht mehr in der Lage, weil sie selbst Bürgerkriegspartei geworden ist.

Das Dilemma wird erweitert durch Waffenlieferungen, z.B. Milan Panzerabwehrraketen, an die Rebellen durch Qatar – unter Missachtung des Waffenembargos. Dadurch werden die Bemühungen der NATO um das Waffenembargo verhöhnt. Denn wenn NATO-Generalsekretär Rasmussen sagt, das Bündnis und die an dem Einsatz in Libyen beteiligten Nicht-NATO-Länder wollten streng dem Mandat des UN-Sicherheitsrates folgen, und das gelte auch für die Durchsetzung eines darin enthaltenen Waffenembargos, dann muss er das auch durchsetzen und das wird gegen unsolidarische NATO-Mitglieder und Koalitionäre nicht einfach werden.

Und dann fordert Deutschland - mit Recht - eine politische Lösung des Libyen-Konflikts, nur wer soll diese Lösung herbeiführen? Die NATO kann es nicht, denn sie ist Partei. Die Afrikanische Union kann es nicht, denn sie ist nicht glaubhaft. Die Arabische Liga will es möglicherweise nicht, denn sie wäre gegebenenfalls an einem Scheitern der westlichen Welt nicht uninteressiert. Die Mittelmeerunion unter dem „politischen Großmaul“ Sarkozy hat nicht die politischen Fähigkeiten – nach den Erfahrungen kann Sarkozy es immer nur kurzzeitig und verbal. Da bleiben nur die USA und die sind aus innenpolitischen Gründen nicht interessiert. Die NATO ist also ohne klar definiertes Ziel an einem Bürgerkrieg beteiligt, in dem sie auf der Grundlage der derzeitigen Resolution militärisch nicht und nichts gewinnen kann und in dem sie selbst über keine politische Entscheidungsfreiheit und Handhabe verfügt.

Das Dilemma der NATO wird verstärkt durch Medien. In der FRANKFURTER RUNDSCHAU heißt es am 15.04 2011, um ein Beispiel herauszugreifen: "Luftschläge allein werden das Gaddafi-Regime nicht zu Fall bringen. Das weiß jeder in der NATO. Den Einsatz von Besatzungstruppen erlaubt die UN-Resolution nicht. Es gibt aber eine Hintertür, deren Öffnung die NATO-Planer vorbereiten. Bodentruppen könnten humanitäre Hilfslieferungen in Libyen absichern. Nominell wäre das kein Kampfeinsatz, aber wer würde sich denn beschweren, wenn der eine oder andere Gaddafi-Soldat dabei getötet würde. Das wäre sozusagen ein Kollateralnutzen.“ Da schwadroniert die politische Redaktion einer deutschen rot/rot/grünen Tageszeitung mit Wild-West-Moral über Hintertüren einer Resolution der Weltgemeinschaft zu Krieg und Frieden, Leben und Tod von Menschen und über die Nutzung von Schlupflöchern. Der Kampfeinsatz wird nicht an der Legitimation gemessen sondern „nominell“ bewertet. Dabei wird das Töten von Gaddafi-Soldaten als „Kollateralnutzen“ begrüßt. Die Redakteure merken offensichtlich nicht mehr, wie heruntergekommen und mies ihre zynischen Gedankenspiele sind, weil sie selbst ziemlich heruntergekommen und mies sind.

Der zu beobachtende relativ skrupellose Umgang mit Informationen, die Verbreitung von Gerüchten und Spekulationen, das mediale Achselzucken über die Falschmeldung von gestern und der offenbar gegen geschichtliche Erfahrung verbreitete Glaube, Rebellion und Revolution seien positive Werte an sich, erzeugen Stimmungen und Handlungsdruck, denen mit rationaler Politik nur schwer stand gehalten werden kann.

Die NATO wirkt leider in vielerlei Hinsicht hilflos. Sie ist halt so gut wie die Summe ihrer Mitglieder und so schlecht, wie einzelne sie sein lassen wollen.

(15.04.2011)

 

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