Hans-Heinrich Dieter

Deutsche Außenpolitik   (04.10.2013)

 

Bundespräsident Gauck hat in seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit auch auf die außenpolitische Verantwortung Deutschlands in Europa und der Welt hingewiesen. Und er hat deutlich gemacht, dass Deutschland, das einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anstrebt, auch klar sagen muss, welche außenpolitische Rolle es bereit ist verantwortungsbewusst, auch in Krisen, politisch und militärisch zu spielen. Bundespräsident Gauck sagte: "Ich mag mir nicht vorstellen, dass Deutschland sich groß macht, um andere zu bevormunden. Ich mag mir aber genau so wenig vorstellen, dass Deutschland sich klein macht, um Risiken und Solidarität zu umgehen." Er thematisiert damit treffend das außenpolitisch schwer erkennbare und wenig fassbare Deutschland knapp 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

In diesem Zusammenhang liegen große Aufgaben vor Deutschland. Denn Europas politische Struktur muss in den kommenden Jahren dringend reformiert werden, wenn Europa und die Europäische Union weltpolitisch weiterhin Einfluss nehmen wollen. Hier muss sich die Bundesrepublik führend einbringen.

Trotz einer Verlagerung von Interessen der US-Politik in den pazifischen Raum bleiben die Europäer die engsten Verbündeten der USA und das heißt, dass Bedrohungen gemeinsam entgegenzutreten ist. Und Europa ist als engster Verbündeter der USA nur so gut wie sich Europa sicherheitspolitisch leistungswillig und leistungsfähig zeigt. An gemeinsamem Leistungswillen und an europäischer militärischer Leistungsfähigkeit mangelt es derzeit.

Die NATO ist formal ein sicherheitspolitisches Bündnis aus gleichberechtigten Staaten, wird aber de facto von den USA dominiert. Für die USA wird die NATO sicher die wichtigste sicherheitspolitische Institution der weiterhin wichtigen transatlantischen Beziehungen bleiben, aber sie sind erkennbar dabei, ihr Engagement zu reduzieren. Die europäischen Mitglieder der NATO werden deswegen von den USA als Partner bei der Lösung von Konflikten in und außerhalb Europas immer stärker gefordert werden und müssen dafür ihre Abhängigkeit von den amerikanischen militärischen Fähigkeiten deutlich reduzieren. Solchem Anspruch müssen wir - und vor allem auch Deutschland - immer stärker gerecht werden, wenn wir als Partner der USA relevant bleiben oder werden wollen.

Dazu muss Europa sicherheitspolitisch an Augenhöhe mit den USA gewinnen. Dazu müssen die sicherheitspolitischen Anstrengungen der Europäer deutlich verstärkt werden, um die USA als auch atlantische Macht aktiv im Boot zu halten. Eine sicherheitspolitische Garantiemacht werden die USA in Zukunft hauptsächlich für Asien sein. Hier gibt es für Europa außen- und sicherheitspolitisch viel zu tun - mehr Kooperation, mehr burden sharing und smart defence, mehr gemeinsames politisches Planen und Handeln der Europäischen Union. Verteidigungsminister de Maizière forderte zu Beginn des Jahres in München konkret ein NATO-freundlicheres Frankreich und ein EU-freundlicheres Großbritannien.

Aber vor allen anderen muss Deutschland seine Hausaufgaben machen. Wir reden von Europa und stimmen unsere Anstrengungen politisch unzureichend ab. Wir reden von der gewachsenen Bedeutung der Mittelmacht Deutschland und von der gewachsenen Verantwortung der größten Volkswirtschaft Europas und rüsten unsere Streitkräfte nicht entsprechend durchhaltefähig aus. Wir erteilen immer wieder Mandate an unsere Soldaten, ohne diese in einen außen- und sicherheitspolitischen Gesamtrahmen einzuordnen. Deutschland hat keinen solchen Gesamtrahmen, keinen außen- und sicherheitspolitischen Kompass und liefert auch deswegen immer wieder Grund zum Vorwurf der Beliebigkeit, des Lavierens und des Wegduckens. Das "außenpolitisch unsichtbare Deutschland" hat seine Geschichte.

Die deutschen Regierungen hatten sich bis zum Geschenk der Vereinigung Deutschlands in der eingeschränkten Souveränität gut eingerichtet, sich willig in multinationale Entscheidungsstrukturen eingebracht und mit Hinweis auf die deutsche Geschichte internationale sicherheitspolitische Verpflichtungen gemieden. Weil Deutschland international nicht führen wollte, hat es auch seine vitalen außenpolitischen und sicherheitspolitischen Interessen nicht definiert und keine Außenpolitischen Konzepte formuliert. Deutschland war lieber "Mitglied" und hat während des kalten Krieges im transatlantischen Rahmen, in der NATO und in der EU musterschülerhaft "mitgemacht". Ein Führungsanspruch an Deutschland wurde lediglich von Präsident Bush 1989 im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung formuliert, als er eine "Partnership in Leadership" anbot. Deutschland fühlte sich geehrt aber gleichzeitig überfordert und von der damit verbundenen Verantwortung abgeschreckt. Der Appell des Bundespräsidenten passt also gut zum Tag der deutschen Einheit.

Auch nach der deutschen Vereinigung und Souveränität hat Deutschland leider keine eindeutigen und verbindlichen außen- und sicherheitspolitischen Ziele, Vorgaben und Konzepte definiert und so fehlen Grundlagen für eine nachhaltige politische Führung Deutschlands und erst recht fehlen politische Vorstellungen zur Übernahme einer Führungsrolle im europäischen Rahmen.

In der heutigen politischen Lage kann sich das mit Europa stark verwobene Deutschland als wirtschaftsstärkste aber exportabhängige Mittelmacht aber nicht mehr in europäischen Beratungsstrukturen verstecken und nur freundlich mitmachen, wenn es seine und auch europäische Interessen wahrnehmen will. Deutschland ist nun einmal nicht gleich unter Gleichen sondern muss seine Rolle als zumindest ein Primus inter Pares annehmen und gestalten. In diesem Sinne meint Führung ja auch nicht, dass Europa am deutschen Wesen genesen soll. Deutschland muss lediglich seine Interessen in Europa unter Berücksichtigung der Vorstellungen und Interessen der anderen Partner und des gesetzten Rahmens der Grundlagen und Institutionen der Europäischen Union nachdrücklich wahrnehmen.

Dazu muss Deutschland seine vitalen politischen Ziele und Interessen in und für Europa, auch für die europäischen Partner nachvollziehbar, formulieren, damit deutsche Politik weniger beliebig, sondern grundsatzorientierter wird und damit immer dann, wenn von Deutschland nachhaltige Führung in Europa erwartet wird, die jeweilige Politik auch vertrauensvoll als "europäisch" verstanden werden kann.

Um in Europa seiner Verantwortung gerecht werden zu können und um auch zukünftig erfolgreich zu sein, hat Deutschland noch erhebliche und grundsätzliche politische Arbeit zu leisten. Das geht sehr weit über die ständigen Bemühungen um die Beruhigung der Finanzmärkte hinaus und schließt eine an langfristigen Zielen und Konzepten orientierte möglichst gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik natürlich ein.

Wenn Deutschland zukünftig also endlich weiß, was es will, wohin es genau will und unter welchen Rahmenbedingungen es zu welchem Engagement in Europa und der Welt bereit ist, dann müssen auch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Deutschland der daraus resultierenden Verantwortung gerecht werden kann. Denn so wichtig und richtig der Appell des Bundespräsidenten ist, dass Deutschland auch mit militärischen Mitteln seiner weltweiten Verantwortung als Führungsmacht in Europa in Zukunft gerecht werden muss und es an Solidarität bei Mandaten der UN im Rahmen der NATO nicht fehlen lassen darf, so wichtig ist es auch, die Voraussetzung für die Wahrnehmung weltweiter militärischer Verantwortung zu schaffen. Solange der Bundeswehr adäquat leistungsfähige Aufklärungs- und Führungsmittel, Rettungshubschrauber, Kampfhubschrauber, Kampfdrohnen, geschützte Fahrzeuge und Lufttransportkapazität für eigenverantwortliche Einsätze fehlen, ist Deutschland auch kein verlässlicher sicherheitspolitischer Partner mit eventueller Führungsverantwortung.

Die Rede des deutschen Bundespräsidenten hören Europa und die Welt wohl, allein es mangelt - nicht ganz zu Unrecht - an Vertrauen und Gewissheit!

(04.10.2013)

 

 

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