Hans-Heinrich Dieter

Desolates Europa   (07.04.2016)

 

2015 war für die Europäische Union ein katastrophales Jahr, in 2016 wird sich die insgesamt desolate Lage noch verschärfen.

Gestern haben die Niederländer in einem Referendum mit eindeutiger Mehrheit gegen das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine gestimmt. Die Mehrheit der Niederländer hat damit gegen das eigene Parlament votiert, das sich schon mehrheitlich für die Ratifizierung ausgesprochen hat. Die Mehrheit der Niederländer, die beim Referendum beteiligt waren, hat der niederländischen Ratspräsidentschaft, dem Establishment und den politischen Eliten eine Ohrfeige verpasst. Das muss Hollands Ministerpräsident Rutte nun sehr ernst nehmen und konkrete Vorschläge unterbreiten, wie mit dem Votum umgegangen werden soll. Das ist nicht einfach, denn der Bürger will ernst genommen werden und das Ergebnis dieses Referendums hat natürlich Wirkung weit über die Niederlande hinaus und erschüttert die EU. UKIP in Großbritannien, der Front National in Frankreich und die AfD in Deutschland jubeln jetzt schon.

Europapolitiker erklären das Ergebnis durch Ãœberfremdungsängste von besorgten, ängstlichen Bürgern, die von Rechtspopulisten beeinflusst sind, und denen die Vorteile der Europäischen Gemeinschaft noch nicht gut genug erklärt wurden - das „Volk“ ist halt ein wenig beschränkt. Dann sind die gewählten Volksvertreter etablierter Parteien offenbar nicht in der Lage gewesen, die Bürger zu überzeugen. Vielleicht liegt das - wie bei uns in Deutschland - auch in den Niederlanden an der mangelhaften „Volksnähe“ der selbsternannten „Eliten“.

Die Lage in der Ukraine hat aber sicher auch eine Rolle gespielt. Denn die Ukraine hat keine funktionsfähige Regierungskoalition, die von der EU geforderten Gesetze sind noch nicht verabschiedet, die erforderlichen Antikorruptionsmaßnahmen werden nur sehr schleppend ergriffen und es ist insgesamt schwer, die Ukraine als einen vertrauenswürdigen Partner zu begreifen. Ein Land in einem solchen Zustand wollen die Bürger nicht zu dicht an die EU gebunden sehen. Sie erinnern sich an den mit Lug und Trug herbeigeführten Beitritt Griechenlands, an die verfrühten Beitritte Rumäniens und Bulgariens ohne die Kriterien erfüllt zu haben und die Bürger haben vor Augen, wie der beitrittsunwürdigen Türkei in der Flüchtlingskrise Zugeständnisse signalisiert werden, die durch nichts gerechtfertigt sind. Die Bürger wollen keine voreilige Erweiterung durch die Ukraine.

Andere Stimmen sehen die Unzufriedenheit - eher grundsätzlich - dadurch begründet, dass die Bürger erleben mussten, dass die EU in den Krisen der vergangenen zehn Jahre nur stark eingeschränkt überzeugt und teilweise auch den fatalen Eindruck von Handlungsunfähigkeit vermittelt hat. Die Eurokrise ist noch nicht überwunden, die Griechenlandkrise scheint erneut auf der Tagesordnung und die Flüchtlingskrise offenbart die strukturelle Schwäche der EU, die unzureichende Solidarität egoistischer Nationalstaaten und die Unfähigkeit der EU, beschlossene Maßnahmen und Regelungen umzusetzen und untaugliche zu revidieren oder zu korrigieren. Insbesondere in den letzten Monaten herrschte in der EU eher Chaos und Streit. Dieser Streit dauert an, denn es fehlen derzeit leistungsstarke, durchsetzungsfähige und glaubwürdige EU-Persönlichkeiten, die eine gemeinsame Politik gestalten und abstimmen könnten. In eine derart schlecht verfasste und desolate Europäische Union haben viele Bürger kein Vertrauen mehr.

Vielleicht sollten die politisch Verantwortlichen in der EU und in den Mitgliedstaaten den Ausgang der Volksabstimmung in den Niederlanden auch als Menetekel begreifen und zur Kenntnis nehmen, dass große Teile der Bürger dieses strukturell schwache, zerstrittene, nur eingeschränkt durchsetzungsfähige und teilweise handlungsunfähige Europa ohne gemeinsame EU-Politik, ohne gemeinsame EU-Außen- und Sicherheitspolitik und ohne gemeinsame Finanzpolitik nicht wollen. Und die politisch Verantwortlichen sollten auch Konsequenzen daraus ziehen und eine grundlegende Reform einer solidarischen, stärker integrierten Wertegemeinschaft EU unverzüglich einleiten.

Die europäische Idee ist richtig und wichtig für eine positive Zukunft europäischer Staaten im globalisierten politischen Wettbewerb. Mit der derzeitigen, desolaten EU ist diese gute Idee aber nicht zu verwirklichen!

(07.04.2016)

 

 

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