Hans-Heinrich Dieter

Dampfplauderei   (08.09.2018)

 

Bundeskanzlerin Merkel traf sich gestern mit Frankreichs Präsident Macron in Marseille. Macron meint, Deutschland und Frankreich sollten aus der Migration „eine Chance machen, keine Befürchtung“. Und Merkel gab sich „sehr optimistisch, dass wir auch weiter gemeinsam vorangehen, für ein Europa, das selbstständig ist und eigenständig seine Probleme lösen kann.“ Außerdem sprach sich Macron erneut für eine engere Zusammenarbeit bei der Verteidigung sowie für eine Vertiefung der Eurozone aus: „Deutschland und Frankreich werden weiter zusammenarbeiten, um die Zukunft vorzubereiten“. Angesichts der Zerstrittenheit der Europäischen Union – nicht nur in Flüchtlingsfragen – angesichts der sehr unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der nördlichen und der südlichen EU-Staaten und angesichts der unzureichenden Bereitschaft der Visegrad-Staaten zu solidarischem Handeln kann man solche Aussagen als Dampfplauderei bezeichnen. Zumal die Haltungen Deutschlands und Frankreichs in Integrationsfragen aber auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ziemlich unterschiedlich sind.

Merkel hat schon 2017 mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass sie die Vereinigten Staaten nicht mehr für einen ganz verlässlichen Partner halte und Europa deswegen mehr Eigenverantwortung übernehmen müsse: „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen.“ Und Macron will Europa in der Verteidigungspolitik unabhängiger vom großen NATO-Partner USA machen: „Europa kann seine Sicherheit nicht mehr allein den Vereinigten Staaten anvertrauen“. Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik müsse deshalb grundlegend überprüft werden. Und in diesem Zusammenhang sprach sich Macron auch für einen neuen Dialog mit Russland über sicherheitspolitische Fragen aus. Ja, der Präsident der Atom- und UN-Veto-Macht Frankreich fordert sogar eine „strategische Autonomie“ für Europa: „Es ist heute an uns, unsere Verantwortung zu übernehmen und die europäische Sicherheit und Souveränität zu garantieren.“ Wir Bürger wünschen uns ja Politiker, die Visionen haben und nicht nur im Rahmen von Legislaturperioden „auf Sicht fahren“, aber Visionen bleiben Illusionen, wenn sie nicht auf konkreten Konzepten basieren und nicht durch Ressourcen unterfüttert sind. Und so sind die Aussagen von Merkel und Macron eher eine schnelle politische Reaktion auf die erkennbar eingeschränkte Bereitschaft der USA, auch in Zukunft als Garantiemacht der internationalen Ordnung und als Führungsmacht der westlichen Wertegemeinschaft zu agieren.

Wenn Macron sagt: „Es ist heute an uns, unsere Verantwortung zu übernehmen und die europäische Sicherheit und Souveränität zu garantieren.“, dann will er sicher für die EU sprechen. Die EU hat aber weder eine gemeinsame Außenpolitik noch eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik formuliert. Die EU ist außerdem in ihrer derzeitigen Struktur und Verfassung außen- und sicherheitspolitisch nicht handlungsfähig und kann mittelfristig ohne die NATO die europäische Sicherheit und Souveränität nicht garantieren. Frankreich ist zwar eine Atommacht, aber von sehr nachrangiger nuklearer Einsatzfähigkeit. Ohne das Nuklearpotential der USA ist in der derzeitigen globalen Sicherheitslage die Sicherheit der EU-Staaten nicht zu gewährleisten. Die sicherheitspolitische und rüstungstechnische Zusammenarbeit einiger EU-Staaten befindet sich noch im Ankündigungs- und Anfangsstadium. Darüber hinaus gelingt Macron die angekündigte Wirtschaftsreform nicht. Das französische Wirtschaftswachstum lag im ersten Halbjahr 2018 bei 0,2 Prozent. Das angestrebte Wachstum von 2 Prozent wird so in 2018 nicht zu erreichen sein und die Investitionsmöglichkeiten in die Grande Armée reduzieren. Frankreich kann auf absehbare Zeit keinen wirklichen Beitrag zur „strategischen Autonomie“ für Europa leisten.

Und der Blick auf Deutschland ist noch ernüchternder. In den letzten zwanzig Jahren hat die Bundesrepublik ihre Streitkräfte kaputtgespart und zum „Sanierungsfall“ werden lassen. Deutschland ist derzeit nicht in der Lage, seine NATO-Verpflichtungen nach Artikel 5 des NATO-Vertrages zu erfüllen. Und es wird bis weit in die 30er Jahre dauern, bis drei Heeres-Divisionen eigenständig einsatzbereit sind - von der desolaten Lage der Marine und von Teilen der Luftwaffe soll hier nicht die Rede sein.

Wenn Merkel schon 2017 plaudert, dass wir unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen müssen, dann ist diesbezüglich sehr wenig geschehen. Der Verteidigungshaushalt wurde zwar leicht erhöht aber im Hinblick auf unsere NATO-Verpflichtungen stark unzureichend. Mit der derzeitigen mittelfristigen Finanzplanung wird Deutschland die NATO-Vereinbarung von 2 Prozent Verteidigungsinvestitionen gemessen am Bruttoinlandsprodukt bei weitem nicht erreichen und auch nicht das deutsche Kompromissangebot von 1,5 Prozent. Seit dem letzten NATO-Gipfel, bei dem Deutschland mit Recht wegen seiner - gemessen an der Wirtschaftskraft, der geopolitischen Lage und der politischen Stellung – stark unzureichenden Verteidigungsausgaben massiv beschimpft wurde, hat sich noch nichts getan. Die SPD verunglimpft erforderliche Ausrüstungsausgaben für die Streitkräfte mit Aufrüstung und der SPD-Finanzminister ist zu erforderlichen Korrekturen nicht bereit. Und die in sicherheitspolitischen Fragen verantwortungslos desinteressierte Kanzlerin setzt sich nicht durch und ihre Ankündigungsministerin von der Leyen bekommt das Ministerium offensichtlich nicht in den Griff, denn die angekündigten Trendwenden Personal, Rüstung und Finanzen sind nur stark eingeschränkt oder nicht erfolgreich. Und der Bundestag versagt sicherheitspolitisch ebenfalls. Die Parlamentarier fordern immer den Primat der Politik ein, werden aber der damit verbundenen Verantwortung für „ihre Parlamentsarmee“ nicht gerecht und das Parlament versagt auch bei der parlamentarischen Kontrolle und erforderlichen Korrektur sicherheitspolitisch unverantwortlichen Handelns der Merkel-Regierungen.

Und in Kenntnis dieser Lage tritt ein anderer Dampfplauderer auf den Plan. SPD-Außenminister Maas spricht sich für eine „balancierte Partnerschaft“ mit den USA aus. In dieser Partnerschaft wolle Deutschland seinen „ausgewogenen Teil der Verantwortung bilden. In der wir ein Gegengewicht bilden, wo die Vereinigten Staaten rote Linien überschreiten, in der wir unser Gewicht einbringen, wo sich Amerika zurückzieht. Und in der wir neu miteinander ins Gespräch kommen.“ Weiß dieser Außenminister wovon er faselt? Was soll Europa - und Deutschland anteilig in eine solche „Balance“ einbringen? Für welche „roten Linien“, die die USA überschreiten könnten, brauchen wir Gegengewichte in welcher Qualität und Quantität? Und wer in Europa versteht solche Dampfplauderei? In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt ergänzt Maas dann: „Die Kehrtwende bei den Verteidigungsausgaben ist Realität.“ - und das Ziel sei eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion. Von einer „Kehrtwende“ bei den deutschen Verteidigungsausgaben kann keine Rede sein und eine „europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion“ ist derzeit keine Vision, sondern eine Illusion.

Maas ist der beliebteste deutsche Politiker. Das wirft ein schlechtes Licht auf den Stand der außen- und sicherheitspolitischen Bildung großer Teile unserer Bürger. Auch daran muss angesichts des augenblicklichen politischen Klimas in Deutschland gearbeitet werden!

Politiker der Merkel-Regierungen haben sicherheitspolitisch in Wort und Tat Unzureichendes geleistet, zum Nachteil der deutschen Bürger!

(08.09.2018)

 

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