Hans-Heinrich Dieter

Bürger werden klüger!   (02.11.2021)

 

Kanzlerin Merkel hat nie einen Plan oder ein Konzept zur Bewältigung einer Krise entwickelt – wenn es auf gute Politik ankam, blieb da nur kopfloses und hilfloses Reagieren. Da darf man mit Fug und Recht von einer ganzen Reihe politischer Fehlleistungen sprechen. Und diese Geschichte des Scheiterns ist inzwischen sehr lang und inhaltsreich!

Merkels Scheitern begann erkennbar schon vor 10 Jahren beim überhasteten, in der EU nicht abgestimmten, Atomausstieg nach Fukushima und mit der konzeptions- und planlos eingeleiteten Energiewende, die erheblichen Schaden für die Volkswirtschaft und Klimabilanz Deutschlands angerichtet hat. Da fragt man sehr berechtigt, warum wir nach 16 Jahren „Klimakanzlerin“ unsere Klimaziele verfehlen, Haushalte und Unternehmen mit den höchsten Stromkosten in Europa belasten und zugleich die strategische und kulturelle Kontrolle über das Thema verloren haben. Derweil haben die europäischen Nachbarn um uns herum nicht daran gedacht, ihre atomenergieorientierte Politik zu ändern. Die benachbarte Bevölkerung ist weit davon entfernt, „German Angst“ und „Anti-Atom-Hysterie“ nachahmen zu wollen. Die benachbarte Bevölkerung freut sich eher über die erkennbaren Wettbewerbsnachteile der deutschen Wirtschaft, sie beobachten, wie in Deutschland die Energiekosten ständig steigen, sie freuen sich über zusätzliche Einnahmen, wenn Deutschland ihren teuer angebotenen Atom-Strom kaufen muss, um Lücken zu schließen und sie sind einfach zufrieden, dass sie weniger hysterisch sowie ein bisschen schlauer sind sowie realistischer denken als die „ängstlich gewordenen Hunnen“. Die Kritik wäre weniger berechtigt, wenn die zehn Jahre seit Fukushima effektiver genutzt worden wären, um die erneuerbaren Energien auszubauen. Aber wie bei vielen anderen Zukunftsprojekten hat die Merkelsche GroKo Entwicklungen verschlafen. Die Windenergie ist nicht so effektiv wie gewollt, weil die Stromtrassen und Leitungen nicht im erforderlichen Maß gebaut wurden. Die Entwicklung der Solarenergie wurde auch nicht effektiv vorangetrieben, weil es unter anderem an Speicherkapazitäten fehlt. Und die - damals wie heute - unsinnige Energiewende kommt den Steuerzahler mit der beschlossenen Ausgleichszahlung für die Energiekonzerne mit 2,4 Milliarden Euro auch noch sehr teuer zu stehen, wenn die Atomenergienutzung tatsächlich Ende 2022 eingestellt wird.

Damit nicht genug! Denn darüber hinaus leidet das „Land der Dichter und Denker“ inzwischen unter Bildungsarmut. Deutschland hat außerdem die Digitalisierung verschlafen und ist auf Platz 24 von 27 Mitgliedstaaten der EU gerutscht, wir haben die Entwicklung der E-Mobilität verpennt und mit krimineller Energie einiger Automobilindustrie-Manager den Ruf Deutschlands als Autobauernation nachhaltig beschädigt. Und Deutschland hat sich inzwischen den Ruf eines wenig vertrauenswürdigen sicherheitspolitischen Trittbrettfahrers erworben! Wir wollen immer gerne auf hohem moralischem Niveau Vorbild sein und haben uns in den letzten zehn Jahren teilweise zur „Lachnummer“ entwickelt.

Und die deutsche Politik wird auch im Zusammenhang mit der Bewältigung der Klimakrise nicht ehrlicher und klüger. Wir formulieren immer ehrgeizigere Ziele im Zusammenhang mit Treibhausgasemissionen und dem Erreichen der Klimaneutralität, gerieren uns mit unserem 1-Prozent-Anteil an der Weltbevölkerung als „Vorreiter“ und erreichen in den letzten Jahren nicht die selbstgesteckten Ziele – dafür werden wir dann auch noch von der EU zu Strafzahlungen verdonnert.

Derweil ist die Atomkraft beim UN-Klimagipfel in Glasgow wieder in den Fokus der Energiedebatte geraten. Frankreich setzt sich sogar dafür ein, Investitionen in Atomenergie auf EU-Ebene als „grüne Investitionen“ einstufen zu lassen. Dadurch will man EU-Gelder locker machen und auch private Investoren anlocken. Und Frankreich weiß, wovon es spricht, denn durch die emissionsarme Deckung von 70 Prozent des französischen Energiebedarfs durch Kernkraftanlagen sind die Energiekosten für die Bevölkerung viel geringer als bei uns und die Treibhausgasemissionsgrenzen einhaltbar. Und Frankreich wird seine ziemlich alten Atomkraftanlagen noch lange betreiben und neue Anlagen dazubauen. Auch England und Polen bauen neue Atomkraftwerke, um die Energieversorgung verlässlich sicherzustellen und Schweden denkt über den Neubau von Atom-Reaktoren der neusten Generation nach!

Derzeit mehren sich in Deutschland Forderungen, im Zusammenhang mit dem Klimaschutz verstärkt auf Kernenergie und auch Gas zu setzen. Angesichts hoher Strompreise und ambitionierter Klimaziele hat sich die Einstellung der Deutschen zur Atomkraft also gewandelt. Bei einer repräsentativen YouGov-Umfrage im Auftrag von WamS sprach sich jeder zweite Bürger dafür aus, die bis Ende nächsten Jahres geplante Abschaltung der verbliebenen sechs Kernkraftwerke wegen der stark steigenden Energiepreise zurückzunehmen. Und YouGov interessierte sich auch für die Meinung der 2074 Teilnehmer zum Neubau von Reaktoren der neusten Generation mit der Voraussetzung, dass dadurch die Reduktion der CO2-Emissionen kostengünstiger erreicht werden könnte. Insgesamt 44 Prozent der Befragten würden die Errichtung neuer Atommeiler begrüßen. Nein zu neuen Atomanlagen in Deutschland sagen 42 Prozent.

Die Kernenergie erlebt also einen Imagewandel und die deutschen Bürger stellen damit unter Beweis, dass sie zu großen Teilen klüger geworden sind. Unsere Politiker sind – zusammen mit den abhängigen Mainstream-Medien - mehrheitlich offensichtlich nicht klüger geworden und tragen zur Atomkritik auch in Glasgow bei. In einem Positionspapier „12 Punkte zur Vollendung des Atomausstiegs“ hatte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) schon zu Anfang des Jahres deutlich gemacht, dass für sie nicht Schluss ist, wenn Ende nächsten Jahres das letzte von noch sechs deutschen Kernkraftwerken abgeschaltet wird: „Weitere konsequente Schritte“ gegen die Kernenergie seien dazu in Deutschland, in Europa und weltweit erforderlich, um einen „Schulterschluss der atomkritischen Staaten“ zu erreichen.

Im Interesse der deutschen Verbraucher ist das nicht, wie man deutlich an den rasant steigenden Energierechnungen sehen kann. Denn im Zuge von Kraftwerksabschaltungen haben sich die Preise für Strom und Gas im Großhandel bereits vervielfacht. Dass die erneuerbaren Energien „bereitstehen“, um die Lücke zu füllen, die der parallele Atom- und Kohleausstieg reißt, ist nicht wahr! Und auf absehbare Zeit wird sich das nicht ändern, wie eine Studie der „Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG)“ im Auftrag des Industrieverbandes BDI herausgefunden hat. Danach steigt der deutsche Strombedarf bis 2030 um 42 Prozent – das ist mit erneuerbaren Energien absehbar nicht auszugleichen. Zugleich sehen die Klimaziele eine CO2-Einsparung im Stromsektor von 62 Prozent vor. Das passt alles nicht zusammen!

Mit seiner nicht stimmigen Atomausstiegs- und Klimaschutzpolitik isoliert sich Deutschland erneut von Europa wie schon 2011. Wir sind wieder einmal eher Maulhelden als Vorreiter – zum Nachteil der deutschen Bürger!

(02.11.2021)

 

 

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