Hans-Heinrich Dieter

Bürgerverdrossenheit   (28.01.2015)

 

Politikverdrossenheit scheint sich im Zuge der PEGIDA-Demonstrationen in eine tiefsitzende Verachtung für Politiker und Journalisten zu entwickeln. Da ist es sicher angebracht, vorurteilsfrei nach Gründen zu suchen.

Nach reflexartigem Schwingen der Nazi-Keule, verleumderischen Vorverurteilungen und pauschalem Abdrängen von mehr oder weniger 20.000 Montagsspaziergängern in die rechtsradikale Fremdenhasserecke durch die Mehrheit der Politiker und Journalisten, sind einige Angehörige der vermeintlichen Elite nach Prüfung und Recherche aufgewacht und sehen die Lage etwas differenzierter. Inzwischen redet man von islamkritisch anstelle von islamfeindlich und weiß, dass nicht nur "dumpfbackige Frustbürger mit diffusen Ängsten" mitmarschieren, sondern auch viele mit der Politik unzufriedene Bürger aus dem Mittelstand, mit Beruf und teilweise öffentlichem Amt.

Nun ist es für Politiker und Journalisten schwer, nach so vielen Anfangsfehlern ohne Gesichtsverlust das richtige Maß und richtige Inhalte im Umgang mit dem Demonstrationsphänomen PEGIDA zu finden. Entsprechend groß sind Unsicherheit und Vielstimmigkeit der Politikeraussagen.

Kanzlerin Merkel will sich nicht mit PEGIDA beschäftigen, sie hat ja auch schon das Gespräch mit Vertretern der AfD abgelehnt, die in Umfragen um die 10 Prozent herumdümpeln. Ihr Generalsekretär sieht durchaus die Notwendigkeit, sich mit der Bewegung zu befassen. Nach anfänglichen Fehlleistungen ist auch Innenminister de Maizière dafür, sich mit den Sorgen und Ängsten der demonstrierenden Bürger auseinanderzusetzen. Er meint, es gebe Vertrauenskrisen in die Institutionen und verdrängte Themen, etwa zur Rolle des Islam. Deshalb seien Gespräche notwendig. Und auch der starken Meinungsschwankungen unterworfene Ministerpräsident von Sachsen sieht inzwischen in Gesprächen die beste Möglichkeit im Umgang mit dem Protestpotential. Die CDU tut sich sehr schwer, denn Merkel möchte sich nicht festlegen sowie für alles offen bleiben und die Konservativen trauen sich nicht zu Wort, weil konservativ in Deutschland inzwischen anrüchig ist und von den vorwiegend linken Medien mit dümmlichen Stammtischdiskussionen in Verbindung gebracht wird.

Der aufrechteste und offensichtlich beste Demokrat in dieser krassen Misere ist der Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Er hat schon vor Wochen mit Erfolg zur Diskussion in seine Landeszentrale eingeladen und diese Diskussionstreffen nun schon mehrfach geleitet. Er will den Leuten, die durchaus daran interessiert sind, am „System“ der Bundesrepublik mitzuarbeiten, das Gefühl nehmen, dass sie einfach ignoriert werden. Dieser nachdenkliche, verantwortungsbewusste und aufrechte Demokrat wurde daraufhin in der letzten Woche vom SPD-Landesvorsitzenden Martin Dulig scharf kritisiert: "Die Aufgabe der Landeszentrale ist die politische Bildung, ist die Kontroverse. Aber auch die politische Neutralität, die zu wahren ist". Politische Bildung in der Demokratie lebt von politischer Information - dabei muss man auch mal zuhören - und vom Diskurs - dazu muss man sich mit andersdenkenden Menschen und Problemen vorurteilsfrei auseinandersetzen. SPD-Dulig ist durch solche Bildung offenbar nicht gepägt.

In eine solche Diskussionsrunde der Landeszentrale hat sich überraschend auch Sigmar Gabriel (SPD) gewagt. Er wollte zuhören und verstehen, was die Leute wollen. Das ist für einen verantwortungsbewussten Politiker doch eigentlich ganz normal. Nicht in der SPD, die straft ihn für demokratisches Verhalten vielstimmig ab. Die schrille SPD-Generalsekretärin und Gewerkschafts-Quotenfrau Fahimi hat sich von Anfang an reflexartig, formelhaft und platt-plakativ an der pauschalen Verunglimpfung von 20.000 protestierenden Bürgern beteiligt, lehnt öffentlich jede Befassung mit Pegida ab und zeigt sich nun sehr unzufrieden mit ihrem Vorsitzenden. Nach anfänglicher Hetze gegen die Demonstranten hat Parteivize Stegner inzwischen die Formel gefunden, dass man zwar nicht mit Rechtsradikalen, wohl aber mit Rechtspopulisten reden könne. Anders als Hardliner wie Stegner, Oppermann und viele Genossen hat Gabriel verstanden, dass Politik- und Politikerverdrossenheit Gründe dafür sind, dass seine Partei nur knapp 20 Prozent der Bürger "begeistert". Dagegen wollte er etwas tun. Er versucht seiner Aufgabe gerecht zu werden. Aber wenn Vorsitzende in der SPD mal das Richtige tun, werden sie abgestraft, das weiß Schröder seit der Agenda 2010.

Die mehr oder weniger bürgerlichen Parteien, die Christdemokraten und die Sozialdemokraten reden offenbar innerhalb und außerhalb der jeweiligen Partei mehr übereinander und gegeneinander als sie miteinander darum bemüht sind, sich zum Wohle der Bürger mit Problemen und ihrer Lösung zu befassen. Das mag auch daran liegen, dass die Politiker lieber untereinander vermeintliche "Elitediskussionen" führen als das "tumbe Volk" oder Andersdenkende durch eine verständnisvolle Gesprächsbereitschaft zu "adeln", wie ein abgehobener Politiker sich ausdrückte.

Viele Politiker, darunter auch die Kanzlerin, nehmen die 61 Prozent der Deutschen, die sehr begründet der Auffassung sind, der Islam passe nicht in die westliche Welt, nicht ernst. Sie reden lieber plakativ und undifferenziert über einen Islam, der zu Deutschland gehöre und in keiner Weise mit dem Islamismus in Verbindung gebracht werden dürfe. Das weckt Zweifel und schmälert das Vertrauen in die Politik. Berechtigte Sorgen werden arrogant und abgehoben als islamophob und xenophob abgetan, ohne erkennbar an Problemlösungen konkret zu arbeiten. Solche Politiker bereiten - unfähig zur Selbstkritik und realitätsfern - rechtsradikalen Tendenzen den Boden. Solchen Politikern schlägt - nicht unverschuldet - zunehmend Verachtung entgegen. Der FAZ-Redakteur Altenbockum gesteht dem Vizekanzler zu, er habe offenbar begriffen, "dass es nichts hilft, Politikerverdrossenheit mit Bürgerverdrossenheit zu beantworten. Dann müsste sich die SPD in Sachsen nämlich bald ein neues Volk suchen."

Wenn Politikerverdrossenheit der Bürger tatsächlich zu Bürgerverdrossenheit der Politiker führen sollte, dann leidet unser demokratisches Gemeinwesen grundsätzlich. Bürgernähe lassen viele Politiker vermissen, das kostet Vertrauen und schaft Bürgerfrust!

(28.01.2015)

 

 

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