Hans-Heinrich Dieter

Blamage des Bundestages   (29.06.2020)

 

In einem Kommentar zur Wahlrechtsreform spricht Eva Quadbeck heute im Generalanzeiger von einer Blamage des Bundestages: „So lange die Abgeordneten das sprichwörtliche Bild vom Sumpf abgeben, in dem man besser nicht die Frösche fragt, wie dieser trockenzulegen sei, wird der Frust der Bevölkerung wachsen.“ Das ist treffend formuliert!

In unserer parlamentarischen Demokratie hat das Parlament die Regierung im Auftrag des Volkes zu kontrollieren. Bei der Wahrnehmung dieser wichtigen demokratischen Pflicht versagt der Deutsche Bundestag vielfach! Weil es die Parteien sind, die den politischen Prozess weitgehend beherrschen und nicht das Parlament, kann man durchaus sagen, dass Deutschland als parlamentarische Demokratie in gewissem Maße zur Parteiendemokratie „verkommen“ ist.

Das hängt auch mit der langjährigen Verantwortlichkeit der „Volksparteien“, teilweise in großen Koalitionen, zusammen. Die Politiker der Regierungsparteien im Bundeskabinett haben über ihre - einer strengen Parteidisziplin und rigidem Fraktionszwang unterworfenen - Abgeordneten-Parteifreunde oder Abgeordneten-Genossen die Gewissheit, dass ihre jeweilige Regierungsabsicht im Parlament bestätigt wird. Das verhindert tatsächliche Diskussion und ein „dem Wohl des deutschen Volkes“ verpflichtetes Ringen um die jeweils beste Sachentscheidung, denn es geht derzeit vorwiegend nicht um das Wohl des deutschen Volkes, sondern eher um das Parteiwohl und das Verteidigen der jeweiligen Partei- oder Koalitionsmehrheit. Das ist pflichtvergessen!

Ein Beispiel: Die „Parlamentsarmee“ Bundeswehr ist durch teilweise unfähige oder durchsetzungsschwache Verteidigungsminister unter der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin und dem Spardiktat der jeweiligen Finanzminister zum „Sanierungsfall“ kaputtgespart worden. Dadurch sind riesige Ausrüstungslücken entstanden, die die Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte nachhaltig beeinträchtigen. Das Parlament hat dieses, die Sicherheit Deutschlands beeinträchtigende Regierungshandeln zugelassen und sich an der Parlamentsarmee geradezu „versündigt“ - und sich dabei noch nicht einmal durch alarmierende Worte des einen oder anderen verantwortungsbewussten Wehrbeauftragten beeindrucken lassen. Der Bundestag hat die Haushaltshoheit und entscheidet damit auch endgültig über den Verteidigungshaushalt. Der damit verbundenen Verantwortung sind sich viele Parlamentarier ganz offensichtlich nicht bewusst. Und diese Parlamentarier pochen auf den Parlamentsvorbehalt und schicken nach unzureichenden Diskussionen - die sich nicht mit Strategien und Konzepten befassen, sondern hauptsächlich mit Kopfzahlen und Obergrenzen - die unterfinanzierte und unzureichend ausgerüstete Bundeswehr in die Auslandseinsätze! Mit dieser unverantwortlichen Politik schadet das Parlament dem Ruf Deutschlands in der EU, in der NATO und in der Welt!

Und nun steigert die schier endlose Diskussion um die Wahlrechtsreform den Politikerverdruss und die Parteienverdrossenheit erheblich. Schon der ehemalige Bundestagspräsident Lammert ist mit einem Reformbemühen zur Begrenzung der Zahl der Bundestagsabgeordneten auf den gesetzlich festgeschriebenen Umfang von 598 Sitze kläglich gescheitert. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble wagte einen neuen Vorstoß – und ist bisher auch gescheitert. Schäuble ist frustriert und sah offenbar kaum noch Chancen, die geforderte Wahlrechtsreform noch vor der nächsten Bundestagswahl 2021 umzusetzen, und schlug stattdessen vor, die Reform für das Jahr 2025 ins Auge zu fassen. Sein Scheitern begründet er mit den stark unterschiedlichen Auffassungen der im Parlament vertretenen Parteien. Der Druck der Opposition und aus der Bevölkerung hat das Thema aber auf der Tagesordnung gehalten.

Die Abgeordneten werden für parlamentarische Arbeit „zum Wohl des deutschen Volkes“ bezahlt. In ihrer Parlamentsarbeit sind sie nach dem Grundgesetz ihrem Gewissen verantwortlich und nicht der jeweiligen Partei. Derzeit hat das Parlament 709 Abgeordnete aufgrund von Ãœberhang- und Ausgleichsmandaten. Damit ist der heutige Bundestag der vom Umfang – nicht von der Leistungsfähigkeit – her größte in der Geschichte der Bundesrepublik und das zweitgrößte Parlament der Welt nach dem chinesischen Volkskongress. Nach Ermittlungen des Bundesrechnungshofes kostet der Bundestag 2019 über 970 Millionen Euro, also fast eine Milliarde. Und bei der nächsten Wahl ist – ohne Wahlrechtsreform – zu erwarten, dass der Umfang der Sitze bei 800 liegen wird, mit entsprechenden Kostensteigerungen. Der Kompromissvorschlag von CDU-Fraktionschef Brinkhaus mit Ziel einer zahlenmäßigen Obergrenze von 750 Abgeordneten ist nicht akzeptabel. Die CSU ist bisher nicht bereit auf Direktmandate zu verzichten und die Vergrößerung der Wahlkreise wird von anderen Parteien abgelehnt. Es ist blamabel, dass deutsche Volksvertreter – oder besser Parteivertreter - sich bisher als derart eigensüchtig und kompromissunfähig erwiesen haben. Da kann man nur hoffen, dass die heutige Diskussion im Bundestag die Thematik ein wenig vorangebracht hat und zeitgerecht – also noch in 2020 – eine Wahlrechtsreform verabschiedet werden kann. Scheitert der Bundestag an dieser Aufgabe, dann nimmt die deutsche Politik erheblichen Schaden!

Angesichts des vielfältigen Politikversagens und der unzureichenden Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrollpflichten des Bundestages gegenüber der Regierung ist ein solcher Umgang mit Steuergeldern deutschen Bürgern mit gesundem Menschenverstand nicht mehr positiv zu vermitteln. Hier droht ein gesteigerter Vertrauensverlust!

(29.06.2020)

 

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