Hans-Heinrich Dieter

Bildungsarmut   (30.12.2012)

 

Alle deutsche Welt redet mit allen möglichen Schlagworten von Altersarmut. Der Befund, dass die Vermögen in Deutschland zunehmend ungleich verteilt sind, sorgt für großen Unmut und gibt den Politikern wieder einmal die Gelegenheit, über die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die Erhebung von Erbschaftssteuer und über die Besteuerung von Kapitalerträgen zu diskutieren. In der Hitze solcher oft gefühlsbetonten Diskussionen wird dann häufig vergessen, dass die Bürger der Mittelschicht, die mehr verdienen als der Schnitt, ohnehin die Hauptsteuerlast tragen, dass das Geld der Bürger in Kapitalanlagen bereits versteuert wurde, dass Erbgut meist erarbeitet ist und bereits mehrfach versteuert wurde und es wird vergessen, dass Leistung sich lohnen muss oder anders ausgedrückt, mindere Leistung dazu führt, dass Ansprüche auch nur minder befriedigt werden können. Meist wird in diesem Zusammenhang auch noch wenig geistreich gefordert, dass die Beamtenpensionen gekürzt werden sollten, um die „faulen Staatsdiener“ an der Behebung des Missstandes und der Finanzierung immer weiterer sozialer Geschenke zu beteiligen. An die Hauptursache für ungleichen Verdienst, Besitz und Vermögen, die ungleiche und teilweise stark unzureichende Bildung der Bürger, wagen sich die Politiker dagegen nicht heran.

Die Pisa-Studie des Jahres 2000 schockierte Deutschland, weil 20 Prozent jedes Jahrgangs das Mindestziel verfehlten. Seitdem haben sich Teilaspekte im Bildungsbereich verbessert und bei einer neuerlichen Studie haben Schüler der vierten Klasse im Lesen und Rechnen über dem europäischen Schnitt gelegen. Das beruhigt marginal, löst aber das Problem nicht.

Die neueste Bilanzstudie im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur deutschen Bildungspolitik gibt erneut Anlass zur Diskussion, findet aber kaum Resonanz in den Medien, es gibt keinen empörten Aufschrei, man befasst sich lieber unaufhörlich damit, dass Präsident Obama seinen Weihnachtsurlaub wegen der Fiskal-Klippe unterbrochen hat.

Wenn 1,56 Millionen junge deutsche Erwachsene zwischen 20 und 30 als ungelernt gelten und 50.000 Schüler jährlich die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, dann muss das nicht nur diskutiert sondern es muss gehandelt werden. Diskussionen gab es 2008 beim Bildungsgipfel der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten zur Genüge, man hat sich verbal viel vorgenommen und gar die "Bildungsrepublik Deutschland" ausgerufen, ja die Bildungspolitik zur Chefsache erklärt (eine Chefsache mehr). Die 16 Länderchefs wollten die Zahl der Schulabbrecher und die Zahl der ungelernten jungen Erwachsenen bis 2015 halbieren, davon sind die Länder noch meilenweit entfernt. Die Schulabbrecherzahl ging von 7,4% (2008) lediglich auf 6,2% (2011) zurück. 2008 hatten 17,2 % der 20- bis 30-Jährigen keinen Berufsabschluss, 2011 waren es immer noch 15,9%. Die Zahlen sind beredter Beweis dafür, dass es an zielführendem politischem Handeln gefehlt hat. Da hilft auch kein Appell des DGB an die deutsche Wirtschaft, weniger qualifizierten jungen Leuten eine Ausbildungschance zu geben. Wenn die Ausbildungsfähigkeit nicht gegeben ist, kann man keinem Betrieb zumuten, solchen Nachwuchs durch eine Lehre zu schleppen, mit wenig Aussicht auf Erfolg. Als einzig positiver Aspekt wird in der Studie vermerkt, dass die Zahl der Studienanfänger gestiegen ist. Das sagt aber noch nichts über die Studierfähigkeit und über ausreichende Hochschulqualifizierung der Abiturienten. Die Zahl der Studienabbrecher hat man deswegen wohl besser nicht veröffentlicht. Und es ist nicht zu erwarten, dass die Länder im Hinblick auf Qualitätssteigerungen der Schulausbildung bis zur Gültigkeit der Schuldenbremse viel tun werden, im Gegenteil, in Baden-Württemberg werden derzeit massiv Lehrerstellen abgebaut. Vom Skandal, dass die Länder den Gesetzanspruch ab August 2013 auf einen KITA-Platz nicht gewährleisten können ganz zu schweigen. Es fehlen absehbar im August 2013 220.000 Plätze. Und selbst wenn es gelingt, die Zahl dieser fehlenden Betreuungsplätze zu verringern, sagt das noch nichts über die angebotene Qualität frühkindlicher Erziehung. Denn die Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit, kurz NUBBEK, hat ergeben, dass nicht einmal zehn Prozent der frühkindlichen Betreuungsplätze in Deutschland von guter pädagogischer Qualität sind. Damit ist eine weitere „Chefsache“ nicht erfolgreich! In Deutschland leiden wir unter Bildungsarmut und von einer "Bildungsrepublik" zu sprechen, gleicht eher einer weiteren Volksverdummung.

 Wenn es in Deutschland nicht gelingt, Anforderungen von Beruf und Familie besser in Einklang zu bringen, werden wahrscheinlich immer mehr höher qualifizierte Bürger sich gegen Kinder entscheiden, mit den entsprechenden demographischen Auswirkungen. Schon heute haben weniger qualifizierte Bürger mehr Kinder als Hochqualifizierte und Bürger mit Migrationshintergrund haben ohnehin eine höhere Geburtenrate. Wenn es nicht gelingt, insbesondere Kindern mit Migrationshintergrund frühzeitig in KITAs und durch Förderprogramme die deutsche Sprache so beizubringen, dass sie ohne Probleme dem Schulunterricht folgen können, werden wir die Zahl der Schulabbrecher nicht hinreichend verringern können.

Jugendliche mit schlechtem Hauptschulabschluss oder gar ohne Schulabschluss können in aller Regel einer qualifizierten Berufsausbildung nicht unterzogen werden. Junge Menschen ohne Berufsausbildung sind meist nicht in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. Nach der offiziellen Lehrstellen-Statistik wurden 2012 im Vergleich zum Vorjahr 3,2 Prozent weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen. Solchen jungen Bürgern bleibt nicht viel anderes übrig, als die soziale Hängematte zu nutzen, denn die anstrengende Arbeit in landwirtschaftlichen Betrieben überlassen wir lieber polnischen Wanderarbeitern. Deutschland hat einen großen Bedarf an Facharbeitern, da ist Qualität gefragt, der ungelernte Arbeiter hingegen findet in der hochtechnisierten und anspruchsvollen heutigen Arbeitswelt kaum eine gut bezahlte Arbeit.

Die deutsche Bildungsmisere führt zu teilweiser Bildungsarmut. Die stark unterschiedliche Bildung und Berufsqualifikation öffnet die Kluft zwischen besser, weniger gut und unzureichend verdienenden Bürgern weiter. Geringe Einkommen knapp oberhalb des Existenzminimums führen an den Rand von Lebensarmut und sorgen für sozialen Zündstoff, auch weil vom sozialen Transfer lebende Bürger ähnlich gestellt sind. Unzureichender Verdienst aufgrund unzureichender Qualifikation hat unzureichende Altersvorsorge und damit latente Altersarmut zur Folge. Die Bildungsarmut eines erheblichen Teils der Bürger bringt uns so in eine schwierige Lage, die nicht durch immer weitere und immer schwerer finanzierbare soziale Geschenke zu bereinigen ist.

Das Problem ist nur mit besserer Qualität der frühkindlichen Erziehung und der Schulausbildung zu lösen. Bessere Qualität erreichen wir nicht durch Gleichmacherei, durch Inflation der zu fordernden Leistungen und durch Reduzierung der Ansprüche an die Schul- und Ausbildungsabschlüsse, sondern durch fordernde und fördernde Bildungs- und Lehrangebote, möglichst nach bundeseinheitlichen Maßstäben. Ziel muss der leistungsfähige, eigenverantwortliche und mündige Bürger sein, der seinen Beitrag auch zum gesellschaftlichen Gemeinwohl leisten kann.

Wenn leistungsstarke Schüler nicht gefördert werden, sondern im „Einheitsbrei“ mitrudern müssen, dann wird die Studierfähigkeit unserer Abiturienten weiter abnehmen und wir werden noch mehr ausbildungsunfähige Lehrstellenbewerber aus den Schulen entlassen. Die Zahl der Bürger, die über Steuern zum Gemeinwohl beitragen, wird sich dann stark verringern.

Leistungsunterschiede, unterschiedliche persönliche Begabungen und die Erziehungs- und Bildungsvorstellungen des Elternhauses lassen sich nicht politisch über einen Kamm scheren. Es darf nicht um ungerechte Gleichmacherei, sondern es muss um Chancengerechtigkeit gehen in einem verlässlichen, qualitativ hochwertigen, allgemeinen deutschen Schulsystem.

Es gilt die deutsche Bildungsmisere - das betrifft auch die politische Bildung  - die zur Bildungsarmut von Teilen der Bevölkerung führt, zu beheben, um Altersarmut vorzubeugen und sozialen Sprengstoff zu entschärfen. Da Bildung Zeit braucht, dürfen wir angesichts der alternden Bevölkerung keine Zeit mehr verlieren.

(30.12.2012)

 

 

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