Hans-Heinrich Dieter

EU als außenpolitische Großmacht?   (02.01.2020)

 

Die Europäische Union, und damit auch Europa, ist in einem bedauernswerten, ja geradezu mitleiderregenden Zustand. Die Finanzkrise ist nicht überwunden, die Staatsverschuldung ist in den meisten Mitgliedstaaten nicht im Griff, die massiven Strukturprobleme der meisten EU-Staaten sind nicht oder nur unzureichend behoben und die Flüchtlingsproblematik spaltet Europa mehrfach und nachhaltig. Die Europäische Union hat massiv an Ansehen verloren und wird als Partner in der Weltpolitik wenig ernst genommen.

Die Ursachen für den Ansehensverlust findet die Europäische Union leicht bei sich selbst. Die EU ist eine strukturschwache Gemeinschaft von noch 28 mehr oder weniger egoistischen Nationalstaaten. Das Konsensprinzip führt dazu, dass Entscheidungen nur auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners getroffen werden. Solche Entscheidungen entwickeln naturgemäß nur eingeschränkte politische Schlagkraft. Wenn die Staaten Europas sich in unserer globalisierten Welt auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte in Krisen stabilisierend einbringen wollen, dann geht das mit Aussicht auf Erfolg nur gemeinsam. Diese gemeinsame EU-Politik gibt es aber derzeit nicht, weil der Wille zu gemeinsamer Politik stark zu wünschen übriglässt und die EU-Struktur effektive Machtausübung der Gemeinschaft verhindert.

Dieser politischen Lagefeststellung zum Trotz wollen die neue EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und der neue EU-Außenbeauftragte Josep Borrell eine „geopolitische EU-Kommission“ ins Leben rufen, die die EU-Staatengemeinschaft in eine globale „verantwortungsvolle Führungsrolle“ bringt. Die EU soll nicht nur wirtschaftlich ein Global Player werden, sondern eine global agierende außenpolitische Großmacht, die mit dem „Green Deal“ gleichzeitig auch noch globaler Vorreiter im Klimaschutz sein will. Da hat sich die EU für die kommende Dekade sehr, sehr viel vorgenommen!

Eine global orientierte außenpolitische Großmacht muss nicht nur über einen starken politischen Willen verfügen, sondern diesen Willen auch – notfalls – mit starker militärischer Macht durchsetzen können. Die EU hat bis heute keine definierten außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen, hat keine Verfügungsgewalt über Nuklearwaffen, verfügt über keine Interventionskräfte mit Flugzeugträgern und Raketensystemen, die EU-Mitgliedstaaten bringen mehrheitlich – allen voran Deutschland - zu wenig für die gemeinsame Verteidigungsfähigkeit im Rahmen der NATO auf und die EU hat keine politische Struktur, die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit bei militärischer Machtausübung gewährleisten könnte. Die EU ist außen- und sicherheits-politisch nicht souverän, kann auf absehbare Zeit keine strategische Autonomie erlangen und ist weit davon entfernt, eine EU-Verteidigungsunion bilden zu können.

Wie so häufig bei der EU, hat man auch nun wieder den Eindruck, dass mit vollmundigen Reden positives Denken initiiert und Hoffnung erzeugt werden sollen, um von der derzeit desaströsen Lage der EU abzulenken. Die illusionsgeprägten Reden der neuen EU-Kommission im Hinblick auf eine zukünftige außenpolitische Rolle der EU wirken daher wenig glaubwürdig – insbesondere weil die wirklichen Globalen Player, die USA, Russland und China, die Lage der EU sehr genau kennen. So richtig visionäre Ãœberlegungen zu einer globalen Rolle der EU auch angesichts der „Welt im Umbruch“ und der reduzierten Bereitschaft der USA, der Verantwortung einer westlichen Weltmacht gerecht zu werden, sowie des aggressiven Russlands unter Putin und der aufstrebenden Weltmacht China auch sein mögen, ist es derzeit weitaus wichtiger, dass sich die EU um die Lösung aktueller grundsätzlicher Problem bemüht. Die EU muss zunächst die Spaltungstendenzen überwinden und die Solidarität der Mitgliedstaaten konsequent einfordern. Die Lösung der drängendsten Probleme, Verabschiedung einer gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik, verbesserte Sicherung der EU-Außengrenzen, Vertragsgestaltung für die Zusammenarbeit mit Großbritannien nach dem 31.12.2020 und Verabschiedung des zukünftigen EU-Haushaltes bis Ende des Jahres bietet genug Gelegenheit für gemeinsames und solidarisches Handeln. Mit einem solchen, realitätsorientierten Ansatz könnte die EU verlorenes Vertrauen – auch auf der Weltbühne - zurückgewinnen. Um den Bestand der EU zu sichern wird man aber mittelfristig nicht um eine Strukturreform herumkommen.

Darüber hinaus stehen Verhandlungen für ein Nachfolgeabkommen des völkerrechtlichen Vertrages der EU mit 79 afrikanischen, pazifischen und karibischen Ländern an, der ab 29.02.2020 ausläuft. Wenn die EU hier möglichst schnell zu einer gemeinsamen Haltung findet und zu einem Ergebnis kommt, wäre das ein großer außen-, wirtschafts- und entwicklungspolitischer Erfolg. Dazu arbeitet die EU an einer EU-Afrika-Strategie. Außerdem stehen Verhandlungen mit dem Ziel eines EU-China-Abkommens ins Haus, das für die EU von größter Bedeutung ist, um der Gefahr, dass China mit noch mehr einzelnen Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit dem Projekt Neue Seidenstraße unter Vernachlässigung des EU-Marktes ins Geschäft kommt, vorzubeugen. Ziel muss es sein, mit dem gesamten Gewicht der 500 Millionen EU-Bürger den Handel mit dem 1,3 Milliarden Bürger schweren chinesischen Markt weitestgehend auf Augenhöhe zu betreiben. Deutschland hat während seiner Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2020 dafür sowohl einen EU-China-Gipfel als auch einen EU-Afrika-Gipfel geplant. Hier kann sich die EU als leistungsfähiger außenpolitischer Partner einbringen und bewähren.

Diese Herausforderungen sind für sich schon groß genug. Gleichwohl muss es der EU darauf ankommen, parallel dazu sicherheitspolitische Projekte voranzubringen, um sich allmählich zu einem international handlungsfähigen, außen- und sicherheitspolitischen Akteur zu entwickeln. Dazu muss die EU eine außen- und sicherheitspolitische Gesamtstrategie entwickeln, auf dieser Grundlage die Zusammenarbeit mit der NATO vertiefen und intensivieren und die rüstungspolitische Zusammenarbeit auf der Grundlage von PESCO stärken.

Eine außenpolitische Großmacht wird die EU nicht durch vollmundige Reden. Die EU muss sich reformieren und weiterentwickeln von einer friedensstiftenden Nachkriegs-Wirtschaftsunion zu einem international handlungsfähigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur mit leistungsfähigen politischen Instrumenten, die sie auf der Grundlage einer Gesamtstrategie machtvoll zur Wirkung bringen kann. Das wird nur durch die allmähliche, schrittweise Gestaltung einer glaubhaften und wirkungsvollen globalen außenpolitischen Rolle gelingen. Dazu muss die EU langfristig auch über hinreichende Handlungsfähigkeit bei militärischer Machtausübung verfügen!

(02.01.2020)

 

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